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Pressespiegel:
Schweine sind keine Hunde

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Schweine sind keine Hunde

Autor: Achim Stößer | Datum:
Entsetzen: wurde ein Hund gegrillt?

Die Polizei ermittelt zurzeit in einem "besonders grausamen Fall von Tierquälerei". Tierschützer (Peta) setzen eine Belohung aus für Hinweise auf die Täter.

Erleichterung: Nein, es war nur ein Schwein.

Speziesismus in Reinkultur.

Immerhin wird ansatzsweise die Doppelmoral erkannt: "[M]üssten wir nicht alle unsere Essgewohnheiten hinterfragen? "Dass man einen großen Unterschied zwischen Hund und Schwein macht, ist eigentlich nicht korrekt", sagt der ermittelnde Polizeibeamte.

Der Dackel, der ein Spanferkel war

Autor: Achim Stößer | Datum:
Die Doppelmoral hinter einer Falschmeldung

Waiblingen - Es sind häufig die kurzen Meldungen, die unsere Leser neugierig machen. Frank Buchmeier erzählt Geschichten aus der Region Stuttgart, die sich hinter wenigen Zeilen verbergen. In dieser Folge geht es um einen verkohlten Tierkadaver.

Die Meldung ...

Waiblingen - Die Polizei ermittelt zurzeit in einem "besonders grausamen Fall von Tierquälerei". Unbekannte haben am Sonntag auf einem Grillplatz, der sich nahe der Waiblinger Wasserstubensiedlung befindet, offenbar einen Hund gegrillt. Die Polizei ging entsprechenden Hinweisen nach und fand einen in der Glut der Feuerstelle liegenden Hundekadaver. Das Tier hatte etwa die Größe eines Dackels. Die Tierschutzorganisation Peta hat für Hinweise, die zu den Tätern führen, eine Belohnung von 1000 Euro ausgesetzt. (StZ, 7. Mai 2008)

... und ihre Geschichte


Jürgen Schorpp hilft Frauen, die von ihren betrunkenen Ehemännern verprügelt wurden, er fotografiert verstümmelte Körper von Selbstmördern und nimmt schwere Verkehrsunfälle auf. Solche Sachen kommen in der Region Stuttgart täglich vor, und deshalb schert sich kaum jemand darum. Wenn der Polizeiobermeister Schorpp jedoch einen "besonders grausamen Fall von Tierquälerei" protokolliert, löst er eine Schockwelle aus.

Anfang Mai, ein ungewöhnlich ruhiger Sonntagsdienst für Jürgen Schorpp. Bis 18.27 Uhr keine besonderen Vorkommnisse. Dann ruft in der Waiblinger Notrufzentrale ein Jugendlicher an. Er sei mit seinen Kumpels auf dem Grillplatz nahe der Wasserstubensiedlung, erzählt der 18-Jährige: "Hier liegt ein verkohlter Hund in der Feuerstelle."

Merkwürdige Geschichte, aber es ist nicht auszuschließen, dass sie stimmt. Erschreckende Beispiele gibt es genug. In den zurückliegenden Monaten hat in Fellbach ein Unbekannter zwei Hühnern bei lebendigem Leib die Köpfe abgerissen, in Stuttgart haben Kinder einen Hasen mit Silvesterböllern getötet, und in Ditzingen wurde eine Katze durch Luftgewehrschüsse verletzt. Jürgen Schorpp und sein Kollege Gernot Hettrich steigen in den Streifenwagen, um dem telefonischen Hinweis nachzugehen.

Liegt dort der Kadaver eines Dackels?

Der Tatort liegt im Norden Waiblingens, zwischen Bahnlinie und Rems. In der Asche der Grillstelle finden die Polizisten den gemeldeten Kadaver, der Kopf liegt abgetrennt daneben. Die Täter haben wenig von dem Tier verspeist, an dem Skelett hängt verbranntes Fleisch. Für Schorpp und Hettrich ist klar: Es handelt sich tatsächlich um einen kleinen Hund, vielleicht um einen Dackel. Der Streifenbeamte Schorpp macht acht Beweisfotos, lässt den Kadaver vom Bauhof abholen und schreibt einen Bericht für die Kollegen vom Innendienst. Erst zwei Tage später wird die Presse über den ungewöhnlichen Vorfall unterrichtet.

Dienstagnachmittag, Edmund Haferbeck sitzt vor seinem Laptop, als ihm ein befreundeter Redakteur die Nachricht weiterleitet. Betreff: gegrillter Hund. Haferbeck arbeitet für die Gerlinger Dependance der amerikanischen Tierrechtsorganisation Peta. Zu seinem Job gehört, Schlagzeilen für eine fleischlose Welt zu produzieren. Haferbeck weiß, dass seine vegetarischen Ansichten nur von einer Minderheit geteilt werden, deshalb formuliert er seine Botschaften so, dass sich die Masse angesprochen fühlt. "Bevor Gewalttäter sich an Menschen vergreifen, quälen sie oftmals Tiere", lautet der erste Satz seiner Pressemitteilung. Weiter heißt es: "Auch der Peiniger von Natascha Kampusch, die acht Jahre lang in einem Verlies gefangen gehalten wurde, wurde übrigens wegen Tierquälerei auffällig."

Um zu vermeiden, dass sich schwäbische Hundefresser womöglich auch an österreichischen Schulmädchen vergehen, setzt Peta eine Belohnung von 1000 Euro für Hinweise aus, die zur Ergreifung der Täter führen. Haferbeck drückt die Return-Taste, in seinem Mailverteiler sind regionale Medien, die ihre trockene Polizeimeldung nun mit der Gerlinger Informationsquelle bewässern können.

Hund ohne Reißzähne?


Zum gleichen Zeitpunkt identifiziert Michael Wahl die Leiche. Der Auftrag ist für den Polizeihundeführer schwieriger als angenommen, denn das Corpus Delicti wurde bereits am Montag nach Hardheim überführt und in einer Tierkörperbeseitigungsanlage umweltgerecht entsorgt. Eine Ermittlungspanne. Doch auch die Fotos vom Tatort lassen einen eindeutigen Rückschluss zu: Das unbekannte tote Tier hat keine Reißzähne, folglich kann es kein Dackel sein. Wahl ist erleichtert. Erst vor zwei Wochen musste er seine Schäferhündin Kendy einschläfern lassen. Sein halbes Leben hat er mit dem Tier verbracht - bis Kendy kaum noch laufen konnte. Der Abschied tat weh. "Man hat ja eine enge Beziehung zu seinem Hund", sagt Michael Wahl.

Der Dackel war ein Spanferkel. Nachdem Antenne1 die Meldung vom gegrillten Hund verbreitet hat, meldet sich eine Zeugin. Die Frau berichtet der Polizei, dass sie sich am Sonntag beim Grillplatz mit einer Gruppe junger Männer unterhalten habe, die ein Jungschwein am Spieß brutzeln wollte. Es ist ihnen wohl versehentlich ins offene Feuer gefallen und dann bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.

Der besonders grausame Fall von Tierquälerei hat sich als gewöhnlicher Fall von Nahrungsverschwendung entpuppt. Laut einer Studie der Universität Wien werden in Mitteleuropa etwa zwanzig Prozent der Lebensmittel nicht verzehrt. Hochgerechnet bedeutet das: in Deutschland landet jährlich das Fleisch von zehn Millionen Schweinen nicht in Mägen, sondern im Müll. Das ist zwar eine Sauerei, aber nicht strafbar, denn sonst müsste die gesamte Konsumgesellschaft eingesperrt werden.

Die Presse macht sich lustig

Als die Korrektur der Polizei die Redaktionen erreicht, sind die Mittwochsausgaben bereits gedruckt. Die Presse ist nicht zimperlich, sie schlachtet die fremdverschuldete Zeitungsente am nächsten Tag gnadenlos aus. Die Staatsmacht könne nicht einmal einen Hund von einem Schwein unterscheiden, höhnen die Journalisten. Jürgen Schorpp ärgert sich bis heute über die Kommentare. "Irren ist menschlich", sagt der 36-Jährige. "Und Polizisten sind auch bloß Menschen."

Hat ihm irgendeiner gratuliert, als er mit seinen Kollegen einen Bankräuber gestellt hatte? Und als eine alte Frau von einem Lastwagen überrollt wurde: hat sich jemand dafür bedankt, dass er die sterblichen Überreste vom Gehweg aufgelesen hat? Aber wenn er sich einmal auf eine falsche Fährte locken lässt, dann steht er sofort am Pranger. Außerdem: müssten wir nicht alle unsere Essgewohnheiten hinterfragen? "Dass man einen großen Unterschied zwischen Hund und Schwein macht, ist eigentlich nicht korrekt", sagt Schorpp.

Jede Kultur hat ihre Tabus. In Indien sind Kühe heilig, Muslime essen kein Schweinefleisch. In China, Korea, Vietnam, Osttimor, auf den Philippinen und im Kongo werden Hunde verspeist. In Deutschland ist das verboten. Bleibt der konsequente vegetarische Weg, den Edmund Haferbeck eingeschlagen hat. Der Peta-Mitarbeiter stammt aus einem ostwestfälischen Dorf. Sein Vater, ein Tischler, hielt Schweine. Das Borstenvieh wurde daheim selbst geschlachtet und landete als Braten auf dem Tisch. Haferbeck studierte Agrarwissenschaft, Schwerpunkt Tierproduktion, er wollte Landwirt werden. Während eines Praktikums auf einem großen Bauernhof hatte er sein Erweckungserlebnis. "Ich musste zusehen, wie Ferkeln ohne Betäubung Schwänze und Hoden abgeschnitten und die Zähne abgeschliffen wurden." Das Vorgehen sei noch immer üblich und durch europäische Richtlinien gedeckt.

Haferbeck hat die Seite gewechselt. Er isst kein Fleisch, verzichtet auf Ei- und Milchprodukte und kämpft für Tierrechte. Wenn irgendwo ein Hase, eine Katze oder ein Meerschwein drangsaliert wird, verschickt er Pressemitteilungen. Damit lässt sich am meisten Aufmerksamkeit erregen. Eigentlich ist Haferbeck aber der Meinung: "Deutschland ist für Heimtiere ein Schlaraffenland." Skandalös sei dagegen der Umgang mit Nutztieren. "Es ist die größte Barbarei unserer Zivilisation, dass sie die Existenz mancher Lebewesen als wertlos einstuft." Der Hund ist der beste Freund, das Schwein nur eine billige Massenware.


Frank Buchmeier

18.11.2008 - aktualisiert: 24.11.2008 15:47 Uhr
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1875938