Dresden (dpa) - Lebensmittel sind in Deutschland nach Ansicht des Dresdner Lebensmittelchemikers Thomas Henle so sicher und billig wie nie zuvor. «Ich würde alles, was im Supermarkt angeboten wird, bedenkenlos kaufen», sagte der Professor an der Technischen Universität Dresden in einem Gespräch mit der Deutschen Presse- Agentur (dpa).
«Vor Gesundheitsgefährdungen habe ich keine Angst, allerdings zweifle ich ab und an, ob in Lebensmitteln auch das drin ist, was auf der Verpackung steht.» Am 27. März kommen die Lebensmittelchemiker aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu einer zweitägigen Konferenz ihres Regionalverbandes in Dresden zusammen. «Wir treffen uns zum wissenschaftlichen Austausch mit den Vertretern der Hochschulen und der amtlichen Lebensmittelüberwachung», sagte Verbandsvorstand Henle.
Die großen Risiken der Ernährung seien nicht Dioxin, Acrylamid und BSE, sondern falsche Ernährung. Schätzungen zufolge werden in einem Jahrzehnt 10 Prozent der Bevölkerung an Typ II Diabetes leiden. «Dieser Krankheitstyp ist nicht genetisch bedingt, sondern ernährungsinduziert», sagte der Professor. «Dann sind wir ganz schnell in der Größenordnung von 100 000 vermeidbaren Todesfällen pro Jahr. Dieses Problem ist wesentlich größer als die Rückstände chemischer Substanzen in Lebensmitteln.»
Durch den Giftstoff Acrylamid beispielsweise steige das Krebsrisiko nur minimal. «Die Substanz entsteht bei der Verarbeitung von stärkehaltigen Lebensmitteln wie Getreide oder Kartoffeln», erklärte Henle. Seiner Ansicht nach geht von Acrylamid jedoch kein großes Risiko aus. So würden Getreideprodukte neben Acrylamid auch viele gesunde Ballaststoffe enthalten. Deshalb sei es wichtig, das Zusammenwirken des gesamten Lebensmittels mit dem menschlichen Organismus zu betrachten. «Ein Nullrisiko gibt es nicht», sagte Henle. «Aber wir sollten in der Debatte die großen Probleme thematisieren und nicht die kleinen Risiken.»
Die meisten Beanstandungen der Lebensmittelkontrolleure beziehen sich laut Henle auf Irreführung oder Täuschung der Verbraucher. Denn nicht überall, wo «Schweinefleisch» auf der Verpackung stehe, sei auch welches drin. «Der Preisdruck erhöht für die Hersteller den Anreiz, an der Grenze der Legalität zu produzieren», sagte er. Auch wenn die Hersteller sich an die Gesetze halten, gebe es Unterschiede in der Frische, im Geschmack und im Ausgangsmaterial. «Bei Wurstprodukten wird vielleicht mehr Wasser genommen oder Ausgangsprodukte minderer Qualität, zum Beispiel Fettschwarte statt Fleisch.»
Henles Lehrstuhl in Dresden ist einer von 15, die in Deutschland Lebensmittelchemiker ausbilden. Die staatlich geprüften Absolventen haben laut Henle gute Jobchancen. In Dresden studiert ein Sechstel der deutschen Lebensmittelchemiker. Jedes Jahr beginnen dort 60 Studenten die Ausbildung. Bundesweit sind es zwischen 300 und 400 Anfänger und 200 bis 300 Absolventen.
© dpa - Meldung vom 25.03.2003 09:41 Uhr