Forenübersicht RSS

Pressespiegel:
die Altersgrenzenlosigkeit der Ethik

Anzahl Beiträge in diesem Thread: 2

Hinweis: Momentan können keine Beiträge erstellt werden.

die Altersgrenzenlosigkeit der Ethik

Autor: martin.p | Datum:
"Ist da Tier drin?" ist die einfache Frage von Friedrich. Denn er mag Tiere und will sie nicht essen, was aber für die leichenfressenden Eltern wohl eher ein Problem darstellt, denn die wenigsten sind so relativ ehrlich wie diese. Wenn die Kinder ihre Eltern ethisch übertreffen, können viele von denen ihre Kinder nach belieben belügen und ihr richtiges Verhalten durch Ageismus abtun.
Obwohl es wohl fraglich ist, ob Friedrich bei solchem Wissen (Vegetarier sind Mörder) nur noch fragen würde, ob da Tier drin ist.

Ist da Tier drin? - Wenn Kinder sich fleischlos ernähren wollen

Autor: martin.p | Datum:
Friedrich (4) sitzt beim Frühstück. Er guckt streng seinen Vater an und
zeigt auf die Wurst: »Ist da Tier drin?“, fragt er anklagend. Friedrichs
Vater antwortet kleinlaut: ,,Ja - da ist Tier drin.“ Der Junge wendet sich
angewidert ab.
Friedrich ist Vegetarier - seine Eltern nicht. »Wir dachten erst, dass
Friedrich nur seine große Schwester Luise nach-macht.“ Die ist immerhin
schon sechs Jahre alt und ebenfalls Vegetarierin.
Begonnen hat alles damit, dass Luise bemerkt hat: Fleisch essen bedeutet
gleichzeitig auch, Tiere zu essen.
,,Viele Eltern denken, dass Kleinkinder noch keine Gewissensentscheidungen
treffen können“, sagt Kinderpsychologe Sven Bölte, »man sollte solche
Entscheidung aber ernst nehmen. Oft werden die Entscheidungen der Kinder
belächelt und nicht akzeptiert. Die Kinder werden gezwungen Fleisch zu
essen, oder ihnen wird verschwiegen, dass sie Fleisch essen.“
Die Wilachs sind zwar selbst keine Vegetarier, unterstützen aber ihre beiden
kleinen Überzeugungstäter. »Wir kochen für unsere Kinder fleischlos, seitdem
sie Vegetarier sind. Für uns bereiten wir allerdings zusätzlich noch Fleisch
zu.“
Friedrich und Luise kennen sich mittlerweile aus. Wochenlang haben sie bei
jedem Lebensmittel nachgefragt. Wurde ihnen eine Karotte angeboten, folgte
die Frage: »Ist da Tier drin?“, bei Paprika dieselbe Frage: »Ist da Tier
drin?“ Jetzt wissen sie es: Weder in Paprika, Karotten, Äpfeln oder
Zucchini »ist Tier drin“. In Kotelett, Schnitzel, Würstchen, Schinken,
Leberwurst und Mortadella aber schon.
Das erste Schockerlebnis für Friedrich war Gelbwurst; Der Gelbwurst-Fan
konnte nicht glauben, dass in so etwas Leckerem »Tier drin“ sein sollte. Als
ihm seine Mutter erklärte, dass er gerne die Gelbwurst essen könne, dass
aber Wurst eindeutig Fleisch sei, kam er ins Grübeln. Er entschied sich für
die Gelbwurst. Nachdem ihm seine Mutter das Brot geschmiert hatte und es auf

seinem Teller lag, konnten die Wilachs an Friedrichs Gesicht erkennen, wie
der damals Dreijährige mit sich kämpfte. »Er tat mir richtig leid“, erzählt
Marie Wilach. »Er sah mich ernst an, schob mir den Teller wieder hin und
sagte traurig: ,Ich will kein Tier‘.“ Seit diesem Tag hat Friedrich nie
wieder Gelbwurst gegessen.
Auch im Kindergarten haben sich Luise und Friedrich durchgesetzt. Barbara
Riekow, Erzieherin in Friedrichs Gruppe: »Von einem Tag auf den anderen
wollte Friedrich kein Fleisch mehr essen. Nun bekommt er, was alle essen -
ohne Fleisch.“
Einmal ist allerdings ein Malheur passiert. Die Köchin hatte eine Suppe mit
Fleischeinlage gemacht, und niemand hatte Friedrich erklärt, dass die Suppe
nicht vegetarisch sei. Ihm ist nach dem Essen schlecht geworden; seitdem ist
er noch kritischer und fragt noch mehr nach.
Luise ist nicht ganz so konsequent wie ihr kleiner Bruder. Sie »isst kein
Tier“ — außer Würstchen. Beim Grillen macht sie eine Ausnahme. Friedrich hat
seine eigenen Würstchen: Tofuwürstchen. »Wir haben immer welche eingefroren
“, erklärt Marie Wilach, »falls wir spontan zum Grillen eingeladen werden,
können wir Friedrichs Würstchen mitnehmen.“
Die beiden jüngsten Mitglieder der Familie üben manchmal moralischen Druck
aus. »Wenn ich Wurst esse und Friedrich neben mir sitzt und sagt ,ich mag
Tiere, ich will keine Tiere essen‘, dann bekomme ich fast ein schlechtes
Gewissen“, sagt Friedrichs Vater. Auch beim Einkaufen wird der Vierjährige
mittlerweile radikaler. Bei jedem Griff in die Kühltheke fordert er: »Kein
Tier kaufen“ und auch freundliche Metzgereifachverkäuferinnen sind
überrascht von der Reaktion des Dreikäsehochs, wenn sie ihm eine Scheibe
Wurst anbieten:
Er sieht sie vernichtend von unten herauf an und sagt bestimmt: »Ich esse
kein Tier!“


Quelle: „Frau+Mutter“ 1/2003
Text Thomas Wolff Illustrationen N. Wanja Olten