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Schlachtfeld Eßtisch

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Schlachtfeld Eßtisch

Autor: Achim Stößer | Datum:
Wann immer der Alltag in der nichtveganen "Nahrungsmittelproduktion" dokumentiert wird und so an die Öffentlichkeit gelangt, es wird zum Ausnahmefall deklariert: ob nun spendensammelnde Tierschützer eine gewöhnliche Schweinemast oder Künast die übliche Praktik der Kükenvergasung zur "Eiergewinnung" - sie stilisieren es zum "Skandal".

Wiglaf Droste beschreibt es überraschend deutlich:

Zitat:
Wann immer sich in den letzten Monaten herausstellt, dass in Mastanlagen oder Eierproduktion Gefangene misshandelt und gefoltert wurden, erfolgt eine nahezu identische Reaktion: Eine aufgeschreckte Öffentlichkeit empört sich, als ob noch nie jemand davon gehört hätte, dass zum Handwerk des Landwirts nicht nur das Umbringen gehört, sondern gegebenenfalls eben auch das Quälen. Verbandsvertreter und Politiker werden nicht müde zu beteuern, dass es sich bei den Folterern um Ausnahmen von der Regel handele, dass man die Schuldigen unnachgiebig bestrafen werde, dass aber im Prinzip alles mit rechten Dingen zugehe. Formuliert wird altmodisch-gemütlich nach Art des Landmanns: Von "einigen schwarzen Schafen" oder, in der Version für Vegetarier, "ein paar faulen Eiern" ist die Rede, manche bevorzugen auch "einige faule Äpfel" - niemals aber wird auf den Hinweis verzichtet, dass die überwiegende Mehrheit der Landwirte mit Folter und Quälerei nichts zu schaffen hätte.

Gesetzt den Fall, das stimmte sogar - ist es im Angesicht der Gefolterten angemessen, weitschweifig darüber zu parlieren, dass nicht immer und nicht überall gefoltert wird? Das Herunterspielen und Kleinreden hat seinen Grund: Einzelne, das ist die Botschaft, mögen fehlgehen, das große Ganze aber ist in guter Ordnung, die Institution Tierausbeutung ist an sich gesund und kann ihre Angelegenheiten selbst regeln. Einmischung von außen ist weder nötig noch erwünscht, trotzig verbleibt man im eigenen Mief. Es ist wie in der Kirche: Die Hirten führen, die Herde folgt, verirrte Schafe werden von den Hunden auf den richtigen Weg zurückgebracht oder zur Abschreckung zerrissen. Ein kleiner Schauprozess dann und wann sorgt zwar für etwas lästiges Aufsehen, nutzt aber letztlich auch der Ordnung.

Die Parallelen zur treuherzigen Aufwallung um korrupte Politiker sind unübersehbar. Sobald einem Volksvertreter eine Vorteilsnahme nachgewiesen wird, ertönt Beschwichtigungsrhetorik: Nun dürfe aber wegen einiger Einzelfälle nicht ein ganzer Berufsstand pauschal an den Pranger gestellt werden, die Mehrheit der Politiker sei ehrenamtlich tätig, fleißig, aufopfernd und alles. Wenn sich das mit der allgemeinen Lebenserfahrung deckte, müsste es nicht andauernd betont werden.


Nun, zugegeben, das schrieb Droste nicht ganz. Das eine oder andere Täter oder Opfer bezeichnende Wort mußte ausgetauscht werden, denn bei ihm ging es um die folternden Soldaten ... doch die Parallelen sind - wieder einmal - frappierend.

Nur noch Pose statt Haltung

Autor: Achim Stößer | Datum:
Die bundesdeutsche Republik der Simulanten ventiliert ihren Eigenmief

Wann immer sich in den letzten Monaten herausstellt, dass amerikanische, britische oder deutsche Soldaten wahlweise Gefangene oder Untergebene misshandelt und gefoltert haben, erfolgt eine nahezu identische Reaktion: Eine aufgeschreckte Öffentlichkeit empört sich, als ob noch nie jemand davon gehört hätte, dass zum Handwerk des Soldaten nicht nur das Umbringen gehört, sondern gegebenenfalls eben auch das Quälen. Vorgesetzte Militärs und Politiker werden nicht müde zu beteuern, dass es sich bei den Folterern um Ausnahmen von der Regel handele, dass man die Schuldigen unnachgiebig bestrafen werde, dass aber im Prinzip alles mit rechten Dingen zugehe. Formuliert wird altmodisch-gemütlich nach Art des Landmanns: Von "einigen schwarzen Schafen" oder, in der Version für Vegetarier, "einigen faulen Äpfeln" ist die Rede, manche bevorzugen auch "ein paar faule Eier" - niemals aber wird auf den Hinweis verzichtet, dass die überwiegende Mehrheit der Soldaten mit Folter und Quälerei nichts zu schaffen hätte.

Gesetzt den Fall, das stimmte sogar - ist es im Angesicht der Gefolterten angemessen, weitschweifig darüber zu parlieren, dass nicht immer und nicht überall gefoltert wird? Das Herunterspielen und Kleinreden hat seinen Grund: Einzelne, das ist die Botschaft, mögen fehlgehen, das große Ganze aber ist in guter Ordnung, die Institution Militär ist an sich gesund und kann ihre Angelegenheiten selbst regeln. Einmischung von außen ist weder nötig noch erwünscht, trotzig verbleibt man im eigenen Mief. Es ist wie in der Kirche: Die Hirten führen, die Herde folgt, verirrte Schafe werden von den Hunden auf den richtigen Weg zurückgebracht oder zur Abschreckung zerrissen. Ein kleiner Schauprozess dann und wann sorgt zwar für etwas lästiges Aufsehen, nutzt aber letztlich auch der Ordnung.

Die Parallelen zur treuherzigen Aufwallung um korrupte Politiker sind unübersehbar. Sobald einem Volksvertreter eine Vorteilsnahme nachgewiesen wird, ertönt Beschwichtigungsrhetorik: Nun dürfe aber wegen einiger Einzelfälle nicht ein ganzer Berufsstand pauschal an den Pranger gestellt werden, die Mehrheit der Politiker sei ehrenamtlich tätig, fleißig, aufopfernd und alles. Wenn sich das mit der allgemeinen Lebenserfahrung deckte, müsste es nicht andauernd betont werden.

Das Gezeter, "die da oben" machten ja doch, was sie wollten, klingt manchmal unangenehm nach Bild lesendem Taxifahrer; mit einer in ohnmächtiges Patt mündenden Mischung aus Wut und Resignation auf die schlechte Ordnung der Welt zu reagieren, ist nicht besonders klug, als Reflex aber verständlich. Ein Politiker, der aggressiv das Engerschnallen des Gürtels befiehlt und erklärt, an der Armutsgrenze lebe es sich doch ganz prima und kommod, wird selbstverständlich prüfend betrachtet: Redet der nur so, als würde er von Großverdienern bezahlt, oder wird er es auch?

Der Teil der Öffentlichkeit, der das überhaupt noch wissen will, muss sich das Recht darauf, es erfahren zu können, erst erkämpfen und Politikern, die nicht freiwillig sagen, wem sie finanziell verpflichtet sind, diese Information gegen ihren Wunsch nach Heimlichkeit entreißen. Dafür gibt es den Rest von Journalismus im Land, der etwas taugt und nicht auf lobbyistische, schön- und mitschnackerische PR herabgesunken ist. Gegen solche Aufklärungsarbeit leistende Reporter der Süddeutschen Zeitung brachte die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihre Leitartiklerlafette Volker Zastrow in Stellung, der jedem Korruption aufdeckenden Journalisten unterstellte, ein pathologischer Protestant und sauertöpfischer Volksumerzieher zu sein.

Wer selbst partizipieren will, schlägt sich verständnisvoll auf die Seite korrupter Existenzen. Bestechlichkeit, hört man dann, sei Teil der menschlichen Natur, man solle da nicht pingelig sein und den ersten Stein werfen, eine Hand wasche nun mal die andere. Das soll abgeklärt und lebensweise klingen, unterschlägt aber den Hauptgrund des Angewidertseins: Politiker, denen Korruption nachgewiesen wird, lügen und leugnen für gewöhnlich hartnäckig indolent noch bei Vorlage der Beweise; sie geben nichts zu, maximal räumen sie etwas ein. Wird ihnen die Wahrheit peu à peu entrungen, sind sie beleidigt und sprechen von Diffamierung und Diskriminierung. Die spezifische Kombination aus Verlogenheit und Selbstmitleid wird mit lebenslänglicher Ekelhaft geahndet.

Heucheln ist Volkssport - das hat auch damit zu tun, dass Politiker stets ausschließlich moralisch beurteilt werden. Mangelnde Moral von Politikern wird rund um die Uhr beklagt, mangelnder Verstand und die vollkommene Abwesenheit von Stil scheinen kaum jemanden zu stören. Gremiumssitzsäcke und Lobbyisten werden nicht nach Hause geschickt, sondern als Volksvertreter akzeptiert. Warum? Und wieso sind die Parlamente über Gebühr mit Advokaten gefüllt? Wer sich von Anwälten regieren lässt, darf sich über Tarnen und Täuschen nicht wundern - beides gehört zur Grundausstattung des Juristen. Gerhard Schröder führt es stellvertretend für die Republik der Simulanten vor: Man hat keine Haltung, man nimmt eine Pose ein - die jederzeit austauschbar ist. So kann man geschwollen über Veränderung sprechen und gleichzeitig den Status quo in Zement gießen." WIGLAF DROSTE

taz Nr. 7578 vom 31.1.2005, Seite 20, 180 Zeilen (TAZ-Bericht), WIGLAF DROSTE
http://www.taz.de/pt/2005/01/31/a0263.nf/text.ges,1