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Dumm gelaufen

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Dumm gelaufen

Autor: Achim Stößer | Datum:
Manche Autoren lassen ihre kahlköpfigen Protagonisten sich die Haare raufen, mit schrecklich rollendem R "Du bist des Todes" dröhnen, den Kopf aus dem ICE-Fenster stecken, in der Verzweiflung zunächst sich selbst und dann ihre ganze Familie meucheln.

Glaubwürdig macht das den Text nicht.

Und so ist es auch mit der Hobbyläufer-Kolumne des Herrn Achilles im Spiegel: Der Sportartikelverkäufer "Sven" wird zunächst als (wenn auch offenbar weniger ethisch als gesundheitlich motivierter) Veganer (gemeint dürfte eher Veganköstler sein, Ernährung ist schließlich nur ein Teilaspekt des Veganismus, aber nun denn) aufgebaut, der wenigstens nicht dem dümmlichen Klischee des halbverhungerten mangelernährten Hänflings entspricht:

"Sven ist ein Tier [äh, was sonst? Pflanze, Mineral?, AS], Schultern wie King Kong, Hüftumfang wie Joschkas Minu. Zu allen Jahreszeiten trägt er ganz zufällig Klamotten, die den Blick auf Bein oder Arm frei geben. Sehnen lügen nicht. Vergangenes Jahr hat er die Ironman-Qualifikation in Frankfurt um zwölf Minuten verpasst. Sven ist Veganer, trainiert mindestens fünf Stunden am Tag und gehört dennoch zu der Sorte Verkäufer, die einem nicht gleich das Gefühl geben, eine lahme Wurst zu sein."

Doch kurz darauf heißt es dann: "Sven legt noch eine Packung Lebertrankapseln ('Holy Secret of the Inuit') mit in die Tüte. 'Super Zeug, schenke ich dir', sagt er." Ah ja. Könnte es vielleicht sein, daß Lebertrankapseln Bestandteile aus den Lebern ermordeter Tiere enthalten und somit nicht vegan sind?

Dumm gelaufen. Ob mit oder ohne Spikes.

ACHILLES' VERSE: Frostschutz für Frustrierte

Autor: Achim Stößer | Datum:
Von Achim Achilles

Beim Sport gibt es eine eiserne Regel. Je größer der Trottel, umso schärfer die Ausrüstung. Aber es gilt auch die Weisheit: Not kennt kein Gebot. Also muss es manchmal so sein, wie es eigentlich nicht darf. Hightech für Haudegen - auch der Härteste braucht Hilfsmittel.

Seit ein paar Tagen ist Sibirien hier, Temperaturen dauerhaft weit unter dem Gefrierpunkt. Das ist lebensgefährlich in einer Stadt wie Berlin, die so pleite ist, dass der Regierende Bürgermeister schon über die Partys ziehen muss, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Nirgendwo wird gestreut, schon gar nicht in den Parks. Zwei Grundwerte des Läufers stehen in einem unauflösbaren Konflikt: zum einen "Ich muss trainieren", zum anderen "Ich darf mich nicht verletzen".

Neulich - Mona war bei der Feng-Shui-Beratung und konnte mich nicht kontrollieren -, habe ich mittags heimlich das Büro verlassen, um mich zu meinem Dealer zu schleichen. Er heißt Sven und arbeitet im Ausdauertempel. Ich brauchte wieder eine Dosis. Diesmal hatte ich sogar einen Grund: Es war kalt und glatt. Und ich war schlecht ausgerüstet. Ich brauchte ein paar Spikes, die man sich unter die Laufschuhe schnallen kann - für sicheren Halt auf eisigen Wegen. Kostenpunkt: 16,90 Euro.

Sven ist ein Tier, Schultern wie King Kong, Hüftumfang wie Joschkas Minu. Zu allen Jahreszeiten trägt er ganz zufällig Klamotten, die den Blick auf Bein oder Arm frei geben. Sehnen lügen nicht. Vergangenes Jahr hat er die Ironman-Qualifikation in Frankfurt um zwölf Minuten verpasst. Sven ist Veganer, trainiert mindestens fünf Stunden am Tag und gehört dennoch zu der Sorte Verkäufer, die einem nicht gleich das Gefühl geben, eine lahme Wurst zu sein. Er tut so, als nehme er meine Probleme ernst; wir sprechen von Profi zu Profi, in knappen, ehrlichen Sätzen. Wahrscheinlich lacht er sich tot über mich. Aber fairerweise wartet er damit, bis ich den Laden verlassen habe.

Zitat:
Achim Achilles ist einer von über zehn Millionen Freizeitsportlern in Deutschland. Er ist nicht mehr ganz jung, nicht mehr ganz schlank, nicht mehr ganz fit. Früher war er gut trainiert. Dann kam der Job, die Familie, der Rotwein. Jetzt fängt er wieder an zu laufen. Nicht weil er es mag, sondern weil er die Sticheleien seiner Frau Mona nicht länger erträgt. Das Gerede vom Spaß am Laufen macht Achim nicht mit. Laufen ist für ihn wie Zahnarzt, man kommt nicht drum herum. Sein Ziel: den Hamburg-Marathon im April 2005 zu überleben. Sein Traum: der Ironman auf Hawaii. Leider ist der Weg dorthin beschwerlich. Von seinem Training spürt er nur mordsmäßigen Hunger. Achim lässt SPIEGEL ONLINE an seinen Läufen teilhaben. Er schreibt Tagebuch - jede Woche ein neues Kapitel.


"Kalt, wa", sagt Sven, als ich den Ausdauertempel betrete. "Und glatt", erwidere ich, "trainieren oder nicht?" Sven grinst: "Ich bin heute morgen zwei Stunden gelaufen - alles eine Frage des Materials." Er klopft auf eine Packung im Regal, an dem er lehnt. "Hier, skandinavische Funktionsunterwäsche, dreilagig atmungsaktiv, geht bis minus 25 Grad. Damit trainiert die norwegische Biathlon-Nationalmannschaft." Sven kennt die Reizwörter genau, mit denen spontanes, unkontrolliertes Verlangen ausgelöst wird. "Und der Kopf?", frage ich, "da friere ich immer besonders." Sven angelt eine schwarze Gesichtsmaske hervor, perfekt für den Banküberfall. "Microfaser mit Optimized-Face-Temperature-Control-System. Habe ich auch. Ist echt super."

Eine halbe Stunde später türmt sich ein Haufen atmungsaktiver Hightechfaser an der Kasse. Handschuhe, Pulswärmer, Mütze, Ohrenschützer, Nierengurt, alles auf Goretex-Basis, eine Winterjacke mit Top-Athlete-Climate-Management, und natürlich neue Laufschuhe (Alaska Polar Arctic High Endurance Power), weil die dicken Wintersocken (Extreme Performance Ultra) eine Nummer mehr erfordern. "Mit drei Prozent Stammkundenrabatt kommen wir auf 623 Euro", sagt Sven beiläufig, "das ist ein Spitzenpreis." Ich nicke. Keine Schwäche zeigen, Achilles. Material ist der halbe Erfolg. Nach elegantem Bogen landet meine Kreditkarte auf dem Klamottenberg.

Sven legt noch eine Packung Lebertrankapseln ("Holy Secret of the Inuit") mit in die Tüte. "Super Zeug, schenke ich dir", sagt er. Verdammt, da fällt mir ein, ich hatte das Wichtigste vergessen. "Spikes?" Sven lacht höhnisch. "Lass den Quatsch. Damit versaust du dir die ganze Technik. Außerdem sind die schon seit Wochen ausverkauft." Ich nicke. Klar, meine Technik, logisch. Danke, Sven, echt, du.

Es war nicht leicht, die große Tüte an Mona und Karl vorbei in den Keller zu schmuggeln. Als die beiden am Samstagnachmittag im Kino waren, fuhr ich in meine neuen feinen Laufsachen. Es dauerte etwa eine Dreiviertelstunde. Der Norweger hat sehr dünne Beine. Ich nicht. Die Nähte ächzten. Ich schwitzte. Die Gesichtsmaske steckte ich in die Tasche. Ich fühlte mich wie ein Teletubby, als ich zum Auto ging.

Am Schlachtensee waren Horden von Läufern unterwegs. Es war ungewohnt, mit all den Hochtechnologiefasern am Körper zu laufen. Man sollte die Strecke "Materialschlachtensee" nennen. Ich schwitzte wie ein Schwein. An der Treppe zum See-Café lag eine dicke Eisschicht, die alle Stufen gleichmäßig überzog. Die High Endurance Power meiner Alaskas stieß an ihre Grenzen. Ich kam ins Rutschen, verlor den Halt und klammerte mich an das Geländer. Der Schweiß, der aus meiner Gesichtsmaske lief, tupfte lustige Muster ins Eis.

Stufe für Stufe zog ich mich empor. Hinter mir hörte ich rhythmisches Klacken. Ein älterer Herr in einem Adidas-Trainingsanzug aus Herberger-Tagen sprang die Stufen hinauf. Er hatte diese Unterschnall-Spikes an den Füßen. Freundlich rief er mir zu: "Erkälten Sie sich nicht." Blödmann. Mit deiner saumäßigen Technik würde ich lieber mal die Klappe halten.

http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,339526,00.html