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Vitamin-D-Mangel durch religiösen Wahn

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Vitamin-D-Mangel durch religiösen Wahn

Autor: Achim Stößer | Datum:
Zitat:
Mehr Licht
Muslimische Frauen in Deutschland haben oft Vitamin-D-Mangel. Das liegt nicht nur am Kopftuch

Adelheid Müller-Lissner
4.8.2005 0:00 Uhr

Die Art, in der sie ging, passte nicht zu der insgesamt eher schwungvollen, energischen Frau: unsicher, kraftlos, watschelnd. Und sie war auch in die Klinik gekommen, weil sie dieser merkwürdigen Schwäche in den Oberschenkeln nachgehen wollte. Treppen schaffte die mehrfache Mutter nur noch mit Mühe. Eine ganz normale Alterserscheinung, schon mit Mitte 40?

Damit wollte sich die muslimische Frau nicht so schnell abfinden. In der neurologischen Abteilung der Schlosspark-Klinik, wo man sich in Zusammenarbeit mit der Charité besonders den Muskelleiden widmet, wurden also verschiedene Untersuchungen gemacht. „Die üblichen Tests haben jedoch keinen Hinweis auf eine Muskelerkrankung ergeben“, sagt Oberarzt Manfred Tesch.

Ein Laborbefund jedoch machte den Muskelspezialisten stutzig. Im Blut war das Parathormon erhöht, ein Stoff, den die Schilddrüse vermehrt herstellt, wenn zu wenig Kalzium im Blut ist. Der erhöhte Hormonspiegel ist ein Hinweis darauf, dass Vitamin D fehlt (siehe Infokasten). Tatsächlich litt Teschs Patientin unter einem Vitamin-D-Mangel – vermutlich durch zu wenig Kontakt mit Sonnenlicht.

Vitamin D ist für den Kalziumstoffwechsel und damit für gesunde, stabile Knochen wichtig. Die Rachitis der Kinder aus sonnenarmen Hinterhöfen im frühen Industriezeitalter ist nur die Spitze des Eisbergs. Doch bisher wurde der Tatsache weniger Aufmerksamkeit geschenkt, dass auch die Muskeln unter dem Mangel leiden können, und das, auch wenn es keine Anzeichen für eine Beteiligung der Knochen gibt. Die Andockstelle für das Vitamin im menschlichen Muskel wurde vor kurzem nachgewiesen. Erst in den letzten Jahren haben sich einige Forscher mit den Auswirkungen des Vitaminmangels auf die Muskeln beschäftigt, etwa der dänische Internist Henning Glerup vom Kommunenhospital in Aarhus, der vor allem palästinensische Einwanderinnen und ihre Kinder untersuchte.

Schon in den 70er Jahren entstand dagegen in England der Name für ein Problem mit den Knochen, das Ärzte im Norden Europas von nun an häufiger sahen: „Migranten-Osteomalazie“. Von Osteomalazie sprechen Mediziner, wenn der ausgewachsene Knochen unter Mineralisationsstörungen leidet. In der medizinischen Fachliteratur wurden immer mehr Fälle von Musliminnen beschrieben, die nach der Einwanderung aus sonnenverwöhnteren Ländern in mittel- und nordeuropäische Regionen zogen und einen Vitamin-D-Mangel entwickelten mit Schmerzen an Wirbelsäule, Füßen und Hüften. Etwa 95 Prozent Türkinnen in Deutschland, die ein Kopftuch tragen, haben einen Vitamin-D-Mangel, ergab 2002 eine Studie aus Gießen, für die die Blutwerte am Ende des Winters ermittelt wurden.

Es wäre allerdings zu einfach, das kleine Stück Stoff selbst als Ursache zu betrachten. Denn eigentlich reicht es, Gesicht und Hände mehrmals in der Woche für eine Viertelstunde der Sonne auszusetzen, um auf die nötige Vitamindosis zu kommen. Gesicht und Hände aber werden vom Kopftuch nicht bedeckt. Die Gießener Forscher haben jedoch festgestellt, dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen, meist insgesamt andere Lebensgewohnheiten haben. „Das Kopftuch ist ein Symbol für eine bestimmte Lebensart“, resümiert Internist Mehmet Ziya Erkal, der selbst in der Türkei studierte und erst 1996 nach Deutschland kam. „Zu dieser Lebensart gehört es, deutlich seltener in die Sonne zu gehen, sich im Freien zu bewegen oder gar am Strand zu bräunen.“ Erkal geht deshalb davon aus, dass die „Sonnenaussetzung“ bei Kopftuchträgerinnen insgesamt nur halb so groß ist wie bei Frauen, die ihren Kopf nicht bedecken – und bei ihren Männern. In unseren nördlicheren Breiten reicht dann vor allem im Winter in den Städten das Ausmaß der UV-B-Strahlung nicht mehr, um die Vitamin-D-Produktion ausreichend sicherzustellen. Zahlreiche Schwangerschaften und langes Stillen gelten als weitere Risikofaktoren. Auch der dunklere Hauttyp, der vor den Gefahren der UV-Strahlung besser schützt, könnte zum Nachteil werden.

Wenn Frauen, die ein Kopftuch tragen, über Knochenschmerzen oder Bewegungsprobleme klagen, sei auf jeden Fall eine Bestimmung der einschlägigen Blutwerte angezeigt, meint Erkal. „Ein Problem besteht darin, dass viele türkische Migrantinnen ihre Schmerzen nicht lokalisieren können. Die Ärzte halten sie dann oft für depressiv oder tippen auf eine diffuse Schmerzstörung.“

Dass die Frauen aufgrund ihres Lebensstils in den nördlichen Breiten nicht genügend Sonne abbekommen, wird dann nicht in Betracht gezogen. Missionarischer Eifer in der Bekehrung zur Freikörperkultur liegt dem Mediziner aus der Türkei aber fern: „Die Frauen können Kopftuch tragen, sollten aber mehr nach draußen gehen. Die Gewohnheiten und Traditionen der Migrantinnen grundsätzlich ändern zu wollen, ist unrealistisch.“ Erkal plädiert deshalb dafür, das Vitamin frühzeitig zusammen mit Kalzium in Tablettenform zu verordnen. „Der Mangel ist glücklicherweise einfach und billig zu behandeln“, sagt auch Neurologe Tesch. Er geht davon aus, dass seine Patientin die Treppen schon ganz anders nehmen wird, wenn sie in einigen Wochen wieder in die Klinik kommt.
http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/gesundheit/;art300,1892653