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Veganismusforum:
Gedanken zur (De)konstruktion des Anderen und ihre vegane Reparatur

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Gedanken zur (De)konstruktion des Anderen und ihre vegane Reparatur

Autor: Ava Odoemena | Datum:
Im Fragethread war mir wegen des Intelligenzaspektes mal wieder aufgefallen, wie psychotisch unsere Pseudozivilisation den "Wert" des Anderen konstruiert.

Bei der Anwendung von Ethik, also bei dem Prinzip Handlungstugenden an anderen Lebensformen festzumachen, geht es nicht um den "Wert" der Lebensform, was sie alles kann und in wiefern sie einen "Nutzen" bringt. Es geht einfach um die Wahrnehmung des Anderen als autarke Existenz, denn mit dieser Existenz und dem Wesen der Existenz sind automatisch Rechte verbunden. Die Beziehung in der ich zu dem Anderen stehe, sei es Einstein oder eine herionkranke transsexuelle Prostituierte mit asiatischem Migrationshintergrund, oder eine Fledermaus, hängt nicht ab von der Form, Fähigkeit, Wert, Nutzen und Leistung ab, sondern liegt im Respekt für die Autarkheit und Interessen dieser Existenz.

Ich schreibe das weil ich immer wieder entdecke, wie Leute die versuchen sich (veganer) Ethik zu nähern, ihre Handlungsprämisse am Nutzen oder Leistungen (wie z. B. Intelligenz) festzumachen. Diese Hilflosigkeit zu überkommen ist natürlich sehr wichtig, aber sie offenbart auch wie degeneriert wir eigentlich noch sind, wenn unser gutes Handeln zu anderen dadurch bestimmt wird, ob der Andere für uns oder eine Gemeinschaft einen Nutzen erbringt, ob er zu einer Gruppe gehört der ich auch angehöre oder sonst einen Wert *für mich* darstellt völlig ohne den Wert der Existenz *des Anderen* zu erkennen. Diese Reduktion auf Zweckbeziehung könnte den Zustand unserer Pseudozivilisation gar nicht besser umschreiben.
Diese Antikultur der Zweckbeziehung ist übrigens bereits die Vorstufe zum Faschismus und anderen psychischen Dominanzerkrankungen und sozial übertragbaren Identitätsstörungen, da die Applikation von Wertschätzung (Wert hier im Sinne von Nutzwert) bei projiziertem Minderwert willkürlich entzogen werden kann und wird. Denn darauf aufbauend, wird "Nutzvieh" "geschlachtet", "Neger" "geklatscht" und "Schlampen" gegen ihren Willen "gefickt".

Wenn wir uns also erst mal befreit haben von der "Idee", dass die Form unserer Beziehung zu Anderen von einem künstlichen Wert oder Minderwert abhängt (Arzt wird geachtet, Alg2er verachtet) erkennen wir das gar keine Wertwahrnemung *übertragen* werden muss, sondern dass lediglich der ethische Wert des Anderen *erkannt* werden muss den er bereits hat.
Es ist also vollkommen unwichtig wie intelligent z. B. jemand ist, sondern wichtig ist, den ethischen Wert, die Rechte die bereits eine Konsequenz seiner Existenz sind, zu erkennen. Natürlich auch anders herum. Der Andere ist mir gegenüber selbstverständlich genauso verpflichtet. Und wenn man dieses Basisprinzip mal erkannt hat, wird es auch sehr einfach vegane Prinzipien anzuwenden auf Andere, die nicht Teil meiner Gruppe sind oder die keinen Nutzen für mich haben.

Vor mir steht Clara Schuhmann und ein Pilz. Wen von beiden darf ich essen? Klingt lächerlich, aber wir leben in einem Zeitalter wo die Mehrheit der Menschen dieses einfache Prinzip nicht kapiert, denn sie glauben, Clara Schuhmann dürfe man nicht essen, aber ein Schwein schon, weil sie eine andere Form wie ein Schwein hat und sich verständlicher ausdrücken kann. Das heißt, Speziesisten (Tierfaschisten = 98-99% der Menschheit) machen ihre Attribution von Handlungstugenden an selektierten Oberflächen fest und verdrängen, verleugnen und ignorieren, dass z. B. der Lebenswille des Schweins mit dem von Clara Schuhmann identisch ist.

Und damit kommen wir auch bereits bei der Wichtigkeit an, das Wahrnehmen des Anderen von dem Erkennen des Anderen unterscheiden zu können. Denn nur wenn wir den Anderen erkennen, können wir die Beziehung in die wir zu ihm treten gerecht gestalten.

Clara Schuhmann z. B. und das Schwein verfügen beide über ein Gehirn, ein zentrales Nervensystem, Fluchtverhalten, Lebensinteresse und die Fähigkeit Leid und Schmerz zu empfinden. Ein Pilz nicht.

Deshalb ist es auch in Ordnung in seinem Keller Pilze zu züchten und zu essen, aber keine Hühner oder belgische Kinder. Deshalb ist auch die biologische Haltung von belgischen Kindern oder Hühnern ethisch nicht akzeptabel, aber der biologische (besser: vegane) Anbau von Kartoffeln im Garten durchaus empfehlenswert.

Um den Anderen, anstelle einer virtuellen Kopie seines Seins im eigenen Bewusstsein womöglich fehlerhaft zu reproduzieren, wirklich zu erkennen, benötigt man Empathie.
Nun sind die meisten schon alleine mit dem Begriff Empathie völlig überfordert und halten es für einen abstrakten, esoterischen Akt des Mitleides. Nein, Empathie bedeutet nicht nur die Fähigkeit des Mitfühlens, sondern dem geht voraus das Erkennen und Annehmen des Anderen. Es bedeutet nicht ein hippieesques, endloses Superkuscheln kiffender, schwullebsischer Warmduscher mit Harmoniezwang (apropos Hippies, die 60er waren keine ethische Bewegung, sondern lediglich ein Spiegel zum Faschismus, jedoch nicht minder schablonenhaft oberflächlich und psychotisch konstruiert wie die "Kultur" ihrer Vorgeneration), sondern ganz einfach das Erkennen des Wesens des Anderen, sei es ein Mensch, ein Nilpferd oder ein Apfelbaum. Empathie und Ethik sind deshalb auch immer ganz eng mit Wahrheit verknüpft. Denn nur mit dem Willen zur Wahrheit kann ich das Wesen des Anderen erkennen, und nur durch diese Erkenntnis bin ich im Stande die Beziehung, in die ich mit dem Anderen trete nach ethischen Prinzipien zu gestalten die dem Anderen gerecht sind.

Übrigens endet vegane Empathie nicht bei der Grenze zwischen Tieren und Pflanzen, sie beeinflusst lediglich meine Art zu Handeln. Obwohl das Fällen eines Baumes ethisch vertretbar ist und sein Nutzen zur Holzgewinnung vegan, würde ich keinen Baum fällen nur so aus Spaß an der Freude. Veganer entwickeln keine falsche Dichtonomie zwischen Pflanzen und Tieren, wie das absurder Weise manchmal vorgeworfen wird, sondern veganes Handeln in Bezug auf Andere ist eine Konsequenz deren Wesens. Dass ich einer Kartoffel ein Auge aussteche, aber Angela Merkel nicht, ist nicht auf Basis einer konstruierten Dichtonomie sondern eine Konsequenz ethischen Handelns bedingt durch die physikalisch-biologischen Unterschiede von Tieren und Pflanzen.
Wer sich also ernsthaft Sorgen macht um konstruierte Dichtonomien, sollte sich um die kümmern die tatsächlich existieren, wie z. B. die der Speziesisten in Bezug auf nichtmenschliche Tiere und andere Formen des Faschismus.

Und das ist auch die bittere Erkenntnis, dass wir entgegen mehrheitlicher Annahmen den Faschismus nicht besiegt haben, sondern mitten im Faschismus leben. Wir leben in einer Ära der kollektiven Geisteskrankheit (denn nichts anderes ist der Faschismus), in der die psychotische Konstruktion des Anderen dazu benutzt wird, meist reicht Schwäche aus um den vermeintlichen Minderwert zu zementieren, seine Vernichtung zu rechtfertigen. Die Hauptopfer dieses Faschismus sind die Tiere, die wir gefangen halten, aussaugen, ermorden und fressen. Diese Opfer sind der offensichtlichste Beweis dieser Pseudozivilisation.

Nun ja, Veganer sind in diesem perversen Wir nicht mehr enthalten. Denn vegane Ethik verhindert ja die falsche Konstruktion des Anderen, da sie uns befähigt die Rechte des Anderen unabhängig von seiner Form und Schwäche wahrzunehmen und unsere Handlungen dementsprechend anzupassen. Aber rein unser eigenes Handeln reicht uns nicht, wir wollen das Ende der Pseudozivilisation, das Ende dieser geschminkten Steinzeit. Wir fordern die Perversen auf, sich zu entperversifizieren. Und tun sie das nicht, so soll ihre Betrübtheit und der versperrte Weg zur Freude und Zufriedenheit die Strafe sein die sie so lange verfolgt wie sie leben.

Denn Veganer sind wie ein vorwurfsvolles Auge das sie immer beobachtet, wir sind da und erinnern sie, und wir missbilligen was sie da machen. Dadurch können sie ihre Perversion nicht mehr verdrängen und ihr Gewissen unterdrücken, es ist nie ganz weg. Sie können nicht mehr so tun, als seien sie normal. Darin liegt unsere Macht auch wenn wir im Moment noch wenige sind.