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Pressespiegel:
Schächten oder "Muß man töten müssen"?

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Schächten oder "Muß man töten müssen"?

Autor: Tanja | Datum:
Da schreibt Hilal Sezgin ganz am Ende ein paar wahre Worte. Wir müssen nicht töten. Sie hinterfragt sogar die Doppelmoral derjenigen, die gegen Schächten sind, aber nichts gegen "schonende Schlachtung mit Betäubung" haben. Es bleibt zu hoffen, daß dies einigen Lesern zu Denken gibt - auch wenn zwischendrin immer wieder Tierschutz-typische Argumente und gar speziesistische Mohammed-Geschichten erzählt werden.

Der Schmerz und der Tod

Autor: Tanja | Datum:
Wir Deutschen sind so furchtbar stolz auf unser Tierschutzgesetz. Wieso eigentlich?
DAS SCHLAGLOCH von HILAL SEZGIN

Der Streit ums Schächten verhält sich zum Tierschutz wie die Kopftuchdebatte zum Feminismus. Soll heißen: Die Debatte um patriarchale Gewalt ist seit Jahren erlahmt; höchstens die mangelnde weibliche Präsenz in Chefetagen fällt hin und wieder auf, während man ansonsten lieber diskutiert, wie die deutsche Frau zu mehr Gebärfreude anzuregen sei. Doch kaum läuft eine Kopftuchträgerin durch Kreuzberg, befürchtet die Bild-Zeitung, sie sei vermutlich unterdrückt, und hält eifernd dagegen.
Dieser Tage sorgt nun das Schächturteil für Aufwallung. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat im Falle des türkisch-deutschen Metzgers Altinküpe das Schächten ohne vorherige Betäubung genehmigt - "mit strengen Auflagen" wohlgemerkt und nur unter Überwachung des Veterinäramts. Bevor dieses Urteil verkündet wurde, ahnte man gar nicht, welche Sorgen sich Bundesbürger um das Schicksal eines Schlachttiers machen. Wenn man aber jetzt die Kommentare zum Schächturteil sieht, unter anderem in dieser Zeitung: Wer hätte gedacht, dass Deutschland so tierlieb ist?! Es gehe einer Kuh "an die Gurgel", konnte man hier am Samstag lesen, ein Tier befindet sich im Todeskampf und stirbt … Das sind ja Nachrichten! Kuhmord ist in Deutschland bislang nicht strafbar - haben unsere Zeitungen hier etwa eine Gesetzeslücke aufgedeckt?
Im Allgemeinen haben die Rechte von Tieren keinen festen Platz in der hiesigen Medienlandschaft. Saisonal erfahren wir, ob Jungrobben in diesem Jahr geknüppelt werden dürfen oder nicht; auf dreißig Zeilen werden unter "Vermischtes" die Versuchstierzahlen abgedruckt. Viele Zeitungen haben sich jüngst die Themen Bio-Siegel und Bio-Fleisch vorgenommen; aber die Tiere, aus denen das Fleisch gewonnen wird, hat kaum einer besucht. Interessanter als die tierschützerische ist offenkundig die verbraucherschützerische Frage, ob wirklich weniger Umweltgift im Bio-Fleisch enthalten sind - und der Preis.
Die Fleischesser, die ich kenne, kaufen ganz selten Bio-Fleisch. Es ist ihnen zu teuer. Sie kaufen nur Bio-Möhren und Bio-Feldsalat und trinken Bionade. "Aber 18 Euro für ein Huhn?", fragen sie entsetzt, selbst wenn sie im Supermarkt vorhin noch die Nase gerümpft haben: "Ein Huhn für vier Euro, da weißt du doch gleich, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht."
Doch ich will hier gar keine Lanze für das Bio-Huhn brechen. Auch nicht uneingeschränkt für Freiland-Eier und Bio-Milch plädieren, denn im Unterschied zu manch anderen, die daher nachts noch ruhig schlafen können, habe ich mir ein paar Mal die Richtlinien zur Tierhaltung in Sachen Bio durchgelesen. Freiheit, natürlicher Rhythmus, glückliches Bauernhofleben sieht anders aus … Bio-Tieren geht es wohl besser als denen im konventionellen Massenstall; aber längst nicht gut genug.
Bevor Sie jetzt denken, ich wolle diese Klagen über den allgemeinen Status quo dazu benutzen, um Muslime von irgendwelchen Anwürfen der ehemaligen Multikulti-Gesellschaft reinzuwaschen: Das will ich gar nicht. Ein muslimischer Metzger ist mir genauso suspekt wie alle anderen Metzger auch. Es tut mir nur wahnsinnig Leid um die ganze Energie, die sich auf den Ersatzdiskurs "Schächten" konzentriert, statt das Leben der Tiere in unserer Nahrungsmittelindustrie zum Thema zu erheben. Und zwar generell und dauerhaft, bis sich Gesetzgebung und Praxis grundlegend ändern.
Sporadische Berichterstattung gibt es schon. Es gibt Kollegen unter den Fernsehjournalisten, die mit der Kamera zu den Tiertransporten gehen und in die Schlachthöfe. Die filmen dann Dinge, die will der Rest von uns lieber nicht sehen. Wir sehen Tiere, wie sie haufenweise und mit teils gebrochenen Beinen aus den Transportern purzeln. Kameras begleiten sie in die Schlachtmaschinerie, fangen Schreie ein und halten fest, wo noch etwas zappelt, auch wenn die Kohlendioxidkammer zur Betäubung schon durchlaufen ist. Einen Lieblingsvorwurf gegen den Islam aufgreifend, hat der Kommentator der taz das Schächten eine "mittelalterliche" Methode genannt. Irgendwie richtig; aber bekanntlich ist auch die industrielle Fließbandmethode kein humaner Prozess. Nach islamischem Recht muss der Metzger dem Tier die Todesangst nehmen; das Tier darf kein getötetes anderes Tier sehen, noch darf es dessen Blut riechen; es muss vor dem Schlachten gefüttert, getränkt oder mit Worten beruhigt werden.
Ob dieses Ideal in der Praxis immer realisiert ist, mag dahingestellt sein; es ist nur zu hoffen, dass die "sachkundigen Personen" und das Veterinäramt, von denen das Karlsruher Urteil spricht, die Regeln kennen und beherzigen. Immerhin aber ist solche Ethik der industriellen Norm weit voraus, bei der die eine Betäubungsmethode nur etwa 80 Prozent aller Tiere "erwischt", und auch die anderen, Elektroschock oder Bolzenschuss, wohl kaum als schmerzfrei zu bezeichnen sind.
Wir Deutschen sind so stolz auf unser wunderbar strenges Tierschutzgesetz. Auf seiner Grundlage geben wir uns dem tröstenden Gedanken hin, im Regelfall werde irgendwie für einen fairen Umgang mit dem Tier gesorgt. Wir wissen aber: Der Realität entspricht das mitnichten. Und das liegt daran, dass das Tier nicht als Individuum Träger eines Rechts auf Unverletzlichkeit ist. Wir füttern die Tiere mit Maschinen, melken sie mit Maschinen und stopfen sie zur Wurstverarbeitung in Maschinen hinein. Unsere Gesetze entsprechen diesem Umgang. Da werden nicht extra Tierpfleger eingesetzt, damit jedes Schwein beim Transport auch Wasser, Stroh und Luft bekommt. Da werden der Kuh halt die Hörner amputiert, damit ihr Kopf durchs Metallgestänge überm Futtertrog passt. Da ist dem Jäger ohnehin erlaubt, ganz ohne Betäubung aufs Wild, und oft auch: halb daneben zu schießen.
Die Gesetze mal beiseite, die Ethik wieder hervorgeholt: Ich habe zwar keine Ahnung, was die Anzahl muslimischer taz-Abonnenten angeht. Doch würde ich speziell an sie gern eine Frage richten: Wie wichtig sind uns eigentlich die Prophetenworte, die zur Sanftheit gegenüber dem Tier aufrufen, die das Brandmarken am Hals und den Jagdsport verbieten? Warum machen wir nicht endlich Ernst mit dem Gebot, dass ein Schlachttier vor Todesangst zu bewahren sei, und warum wird nie erwähnt, dass Mohammed seine Gefährten angehalten hat, langsam zu reiten, wenn die Kamele nebenher grasen wollen, und zügig, wenn es durch die trockene und heiße Wüste geht? Muss dann nicht auch die tagelange Angst der Schafe, die aus Übersee herbeigeschippert werden, mit in Betracht gezogen werden, und die Qual der Kühe beim Autobahntransport?
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Axel Ayyub Köhler, soll vergangene Woche die Worte geäußert haben: "Wenn wir schon ein Mitgeschöpf töten müssen, ist das Schächten die humanste Art und Weise." Mag sein, mag nicht sein. Aber wir sind satte Bewohner westlicher Industrieländer. Wir MÜSSEN doch gar nicht, Gott sei Dank.

taz Nr. 8138 vom 29.11.2006, Seite 11, 243 Kommentar HILAL SEZGIN

http://www.taz.de/pt/2006/11/29/a0156.1/textdruck