Von Ina Schwanse, dpa 07.09.2008, 01:31
Nairobi. Sie liegen in Supermärkten von Nairobi zwischen Gewürzen und Suppen. Verpackt in kleinen 100 Gramm- oder sogar 500 Gramm-Plastiktütchen, erscheint es ungewöhnlich, dass die etwa walnussgroßen Steine neben Nahrungsmitteln zum Verzehr angeboten werden.
Bei genauerem Hinsehen offenbart die Verpackung den Grund: Die Steine sind bekannt für ihren reichhaltigen Eisenwert und sind außerdem für Vegetarier geeignet.
Tatsächlich ernähren sich tausende Frauen in Kenia zusätzlich durch Steine. Violet Mugwang'a war 24 Jahre alt, als sie begann, Steine zu kauen. «Ich habe mich über zehn Jahre von Steinen ernährt. Am Anfang wollte ich es nur ausprobieren, doch dann verspürte ich ein inneres Verlangen danach, und es fiel mir schwer davon los zu kommen», erinnert sich die heute 35-Jährige.
Kenianische Ärzte haben das Steine-Essen bereits als eine Krankheit namens Pica diagnostiziert. Betroffen sind meistens Frauen. Sie beginnen in der Schwangerschaft, Steine zu essen, weil sie gerade in dieser Zeit ein außerordentliches Verlangen nach Eisen, Kalzium und anderen Mineralien entwickeln. Deshalb versuchen sie, die fehlenden Mineralien durch Steine zu ersetzen. Die Steine werden zerkleinert und können dann, da sie von eher bröseliger Konsistenz sind, bequem zerkaut werden.
«Das ist ein eindeutiges Zeichen für Eisenmangel», sagt Wilfred Kisingu, Ernährungswissenschaftler am Medizinischen Forschungsinstitut Kenias (KEMRI). «Der Verzehr ist aber gefährlich und ungesund.» Die Steine führen nicht nur zu Blockierungen im Blinddarm, sondern können auch Verletzungen in der Magenwand verursachen. Verdickung des Blutes und damit Bluthochdruck sind weitere Folgeerscheinungen.
«Während der ganzen Zeit, als ich Steine gegessen hatte, hatte ich Unterleibsschmerzen. Aber ich konnte einfach nicht aufhören», erzählt Violet. Sie beschreibt ein Phänomen, das sich in Kenia und auch in anderen afrikanischen Ländern in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Das Steineessen ist zu einer Art Droge geworden. «Es gibt den Frauen ein Gefühl von Befriedigung», sagt Leah Kirumbi, Ärztin beim KEMRI in der Abteilung für Frauenfragen und Schwangerschaft. Und auch Violet bestätigt dieses Gefühl.
Auf dem Gikomba-Markt, einem der größten Märkte Nairobis, bietet die Verkäuferin Lilian Omukhobelo die Steine bereits für 2 Shilling (etwa 2 Cent) pro Säckchen an. Sie weiß nicht genau, wie viele Menschen täglich kommen, aber es müssten wohl tausende sein, meint sie. Schon Grundschulmädchen kaufen bei ihr. Und sogar einige Männer zählen zu ihren Kunden. Lilian verkauft tagesabhängig zwischen drei bis fünf Säcke, von denen einer 50 kg schwer ist.
Jeder Einwohner von Nairobi hat schon einmal von Pica gehört oder kennt eine Frau, die wenigstens während der Schwangerschaft Steine verzehrt hat. Dennoch ist das Steineessen keine öffentliche Angelegenheit. Vielen ist es peinlich, und sie praktizieren es heimlich. Auch Violet aß die Steine heimlich weiter, nachdem sie geheiratet hatte. «Irgendwann konnte ich dem Druck von meinem Mann und den Schmerzen aber nicht mehr Stand halten und bin zum Arzt gegangen. Seit einem Jahr bin ich von Pica geheilt.»
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