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Jagd ist Mordlust

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Jagd ist Mordlust

Autor: Achim Stößer | Datum:
Die Aussage des Jagdkritikers Ragnar Kinzelbach, Zoologe an der Universität Rostock, "Letztlich dient die Jagd nur dem Spaß und der Befriedigung der Mordlust der Jäger", schaffte es sogar in den Titel eines recht jagdkritischen Artikels in der Süddeutschen. Die wesentlichen Argumente gegen Jagd werden klar präsentiert, die Jägerapologetik, die ebenfalls angeführt wird, wirkt dagegen objektiv betrachtet unseriös und völlig unglaubwürdig.

"Befriedigung der Mordlust"

Autor: Achim Stößer | Datum:
27.01.2009

Streit um die Jagd
"Befriedigung der Mordlust"

Naturschützer und Forstwissenschaftler kritisieren die Jagd: Die Zahl der Tiere würde sich auch auf natürliche Weise regulieren. Die Jäger sehen das anders.
Von Robert Lücke


Die Jagd hat sich in Deutschland seit 1934 nicht weiterentwickelt, sagen Kritiker.
Foto: dpa


Ursprünglich gab es für Menschen zwei gute Gründe, Tiere zu jagen: Sie brauchten etwas zu essen und verarbeiteten die Reste zu Kleidung und Gebrauchsgegenständen. Heute stellen immer mehr Menschen den Sinn der Jagd in Frage.

Zwar wird das Fleisch der erlegten Tiere immer noch gegessen und Jäger führen an, dass sie die Zahl der Tiere regulieren müssen, um ökologische und wirtschaftliche Schäden zu verhindern.

Doch Jagdkritiker wie Ragnar Kinzelbach, Zoologe an der Universität Rostock, lassen solche Argumente nicht gelten: "Letztlich dient die Jagd nur dem Spaß und der Befriedigung der Mordlust der Jäger", sagt er. "Die Jagd ist überflüssig. Wenn man sie einstellt, regulieren sich die Bestände von allein."


Absurde Winterfütterung

Nach Ansicht von Naturschützern ist der Mensch zumeist selbst schuld, wenn sich Tiere irgendwo so stark vermehren, dass sie zur Belastung werden. Er zerstöre die Natur, pflanze Monokulturen und wundere sich dann, wenn sich Tiere an bestimmten Stellen konzentrieren.

Dass etwa riesige Raps- oder Maisfelder für Wildgänse, die am Polarkreis brüten und in Deutschland Rast machen, ein gedeckter Tisch sind, sei nicht die Schuld der Vögel, sondern die der Landwirtschaft und der Agrarpolitik. Dies gilt auch für Wildschweine, für die endlose Maisfelder regelrechtes Mastfutter sind.

"Durch Überdüngung und Nährstoffeinträge aus der Luft steigt das Pflanzenwachstum, die Tiere haben mehr zu fressen, überstehen Phasen schlechten Wetters besser, und vermehren sich entsprechend stark", sagt der Münchner Wildtierexperte Josef Reichholf.


Mästen die Jäger sich in den Wäldern gigantische Rot- und Rehwildbestände heran?
Foto: AP


Zudem hat der Mensch die meisten Raubtiere ausgerottet, so dass das Wild keine natürlichen Feinde mehr hat. Andernorts hat er Tiere in Gegenden ausgesetzt, wo sie nicht hingehören und reagiert verärgert, wenn sie es wagen, dort etwas zu fressen. Das gilt etwa für die Nilgänse, die seit kurzem auch in einigen Bundesländern gejagt werden dürfen.

Eine weitere Absurdität ist nach Ansicht von Jagdkritikern die Winterfütterung. "Die Jäger mästen sich in unseren Wäldern gigantische Rot- und Rehwildbestände heran, nur um sie anschließend abschießen zu können", sagt Kinzelbach.

Dem hält Stephan Bröhl vom Deutschen Jagdschutzverband (DJV) entgegen, dass die Fütterung nur in Ausnahmefällen bei extremen Wetterlagen praktiziert werde, "um zu verhindern, dass Tiere verhungern, und um zu vermeiden, dass sie die Bäume im Wald annagen".


Tatsächlich sind die Schäden durch Wildverbiss riesig, muss auch Kinzelbach zugeben. In mehr als 80 Prozent der Reviere leiden Laubbäume wie die Eiche unter teils starkem Verbiss. Drei Viertel der Tannen sind geschädigt, wie die baden-württembergische Landesforstverwaltung in ihrem "Forstlichen Gutachten 2007" feststellte.

Doch auch das ist nach Ansicht von Kinzelbach letztlich die Schuld des Menschen. Rehe, früher tagaktive Tiere, seien nur durch die Jagd zu scheuen, nachtaktiven Waldbewohnern geworden. "Wenn man die Rehe nicht jagen würde, würden sie sich auch nicht so sehr im Wald aufhalten und dort alles anknabbern", argumentiert der Rostocker Zoologe.


"Es kann nicht sein, dass die 0,3 Prozent der Bevölkerung, die einen Jagdschein haben, für fast 80 Millionen Menschen bestimmen, wie unsere Wälder in Zukunft aussehen werden", sagt Rainer Wagelaar, Forstwissenschaftler an der Fachhochschule Rottenburg und Vorsitzender des Ökologischen Jagdverbandes (ÖJV).

Viele Politiker sind passionierte Jäger

Doch die Lobby der Jäger in Deutschland ist mächtig - auch weil viele Politiker passionierte Jäger sind: Der Präsident des Landesjagdverbandes Bayern, Jürgen Vocke, saß zum Beispiel zehn Jahre lang für die CSU im Landtag.

Der frühere Bundesminister und heutige Bundestagsabgeordnete Jürgen Borchert ist Präsident des Deutschen Jagdschutzverbandes und des Landesjagdverbandes Nordrhein-Westfalen. Sein Vorgänger war Constantin Freiherr von Heereman, sieben Jahre Bundestagsabgeordneter der CDU und Bauernpräsident.

Der Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen ist der CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Dammann-Tamke. In etlichen Kreistagen und Stadtparlamenten sitzen viele, die sich von gemeinsamen Jagden gut kennen. Dasselbe gilt für einflussreiche Stellen in der Wirtschaft.

Der Mensch müsse heute das bestandsregulierende Raubtier ersetzen, da die natürlichen Feinde des Wildes ausgerottet wurden, rechtfertigt sich die Jäger-Lobby. "Wir leben in einer reinen Kulturlandschaft, die vom Menschen geprägt ist. Die wenigen großen Raubtiere wie Wolf oder Luchs, die es erfreulicherweise noch oder wieder gibt, können den Jäger gar nicht ersetzen", sagt etwa DJV-Sprecher Stephan Bröhl.

Die nachhaltige Nutzung der Wildtierbestände sei deswegen notwendig. "Die Idealvorstellung, dass sich Räuber und Beute selbst regulieren, mag in einem Nationalpark funktionieren, aber nicht in der normalen Landschaft."

Dem widerspricht das Ergebnis einer Studie des Münchner Zoologen Josef Reichholf. Der Wissenschaftler untersuchte die Bestandsentwicklung der Bisamratte am Inn - einmal auf deutscher Seite, wo diese Tiere gejagt werden, und einmal im österreichischen Flussabschnitt, wo sie von der Jagd verschont bleiben. Die Untersuchung zeigte, dass es im Jagdgebiet deutlich mehr Bisamratten gibt. Die kritischste Zeit für die Bisamratte ist der Winter.


"Tiere die gestärkt überleben, pflanzen sich im Frühjahr zeitiger und zahlenmäßig stärker fort", sagt Reichholf. Werden in einem Gebiet viele Tiere getötet, haben die Verbliebenen ein besseres Futterangebot, und statt erst im Mai zwei Junge zu gebären, bekommt ein Bisamrattenweibchen dann schon im März vier bis fünf und wirft dann noch bis zu zweimal im selben Jahr.

Dieses Prinzip gelte auch für Rothirsch, Reh und Wildschwein. Durch die Jagd vermehrt sich das Wild stärker als unter natürlichen Umständen. "Die Konkurrenz im Winter ist geringer, die Chancen sind im Frühjahr besser", sagt Reichholf. Durch die Jagd würden Tierarten, die bereits selten sind, noch seltener, und jene, die häufig sind, noch häufiger.

Kritiker sagen, dass sich die Jagd in Deutschland seit 1934 nicht weiterentwickelt habe, als Hermann Göring das deutsche Jagdsystem im Reichsjagdgesetz neu ordnete. Noch immer sei die Trophäe das wichtigste Ziel; Abschusspläne und Schonzeiten würden auch heute noch danach ausgerichtet, möglichst große Trophäen zu bekommen.

Naturschutz als wichtiger Bestandteil des Waidhandwerks

Rehböcke beispielsweise seien für Jäger nur im Sommer interessant, wenn sie ein Gehörn tragen, sagt Wagelaar, der Chef des ÖJV. Die konservativen Jagdverbände bestreiten das. Der Naturschutz sei mittlerweile ein wichtiger Bestandteil des Waidhandwerks.

Um die Jagd zu modernisieren, will der ÖJV die Jagdmethoden unter anderem effizienter machen. "Statt stundenlangem Ansitzen morgens und abends, und dies oft über längere Zeiträume, sollte man die Jagd an einigen wenigen Tagen intensivieren - beispielsweise mit Hunden Drückjagden durchführen.

Dann hat das Wild mehr Ruhephasen und muss nicht länger nachtaktiv und überaus scheu sein", sagt Wagelaar. Dass die Forderungen des ÖJV nicht umgesetzt werden, hat nach Wagelaars Einschätzung einen einfachen Grund: Die klassischen Jagdverbände seien oft "total überaltert, sehr konservativ und kaum reformbereit".

Eine Folge des hohen Jagddrucks in Deutschland wird nach Ansicht der Deutschen Wildtier-Stiftung, die einst von einem Jäger gegründet wurde, viel zu wenig beachtet: die große Scheu der Tiere. Wer jemals einen Nationalpark in Afrika besucht hat, in dem nicht gejagt wird, weiß, dass die meisten Tiere eigentlich keinerlei Scheu vor Menschen haben. Sie lassen sich dort aus wenigen Metern Entfernung beobachten.

In Deutschland nimmt hingegen jeder Hase, jedes Reh, jedes Wildschwein panisch Reißaus, wenn es einen Menschen in einer Entfernung von Hunderten Metern sieht oder wittert. Die Tiere wissen: Mensch gleich Jäger gleich Feind.

Doch auch in Deutschland gibt es Ausnahmen. Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft in Mecklenburg zum Beispiel beobachtet man seit Jahren, wie der eigentlich nachtaktive und scheue Marderhund immer zutraulicher wird - die Jagd ist im Nationalpark untersagt.


(SZ vom 28.01.2009/mcs) http://www.sueddeutsche.de/wissen/606/456275/text/print.html