So attackieren Tierschützer Schweizer Pharma-Mitarbeiter
Fenster schliessen Die Brandstiftung am Ferienhaus von Novartis-Chef Daniel Vasella und der Raub der Graburne seiner Mutter sind Höhepunkte einer ganzen Serie von Attacken auf die Novartis: Auf einer Liste von Bekennerschreiben in einem einschlägigen Online-Magazin sind im letzten halben Jahr zehn weitere Übergriffe im In- und Ausland dokumentiert.
3 Uhr 25, mitten in der Nacht auf letzten Montag. Im idyllischen Lechtal in Österreich reisst ein lauter Knall einen deutschen Feriengast aus dem Schlaf. Er blickt aus dem Fenster und ruft die Feuerwehr: Das Nachbarhaus brennt. Die Flammen fressen sich durch das Ferien- und Jagddomizil von Daniel Vasella, dem Chef des Basler Pharmakonzerns Novartis. Der steigt am nächsten Morgen umgehend in den Helikopter und fliegt zum Brandort. Eine Foto zeigt ihn, wie er lächelnd dem übernächtigten Feuerwehrkommandanten zum Dank die Hand schüttelt.
Dabei ist Daniel Vasella kaum zum Lachen zumute. Die Auskunft von Walter Pupp, dem Chef des Tiroler Landeskriminalamts, bestätigt ihm, was er bereits ahnen muss: Brandbeschleuniger ist zum Einsatz gekommen. Es handelt sich eindeutig um Brandstiftung. Jemand hat mit Absicht Vasellas Liegenschaft zerstört. Wer das getan hat, will mehr als bloss sein Haus kaputtmachen: «Wir werden dein Privatleben angreifen, wo immer es möglich ist», steht in einem Bekennerschreiben, das im einschlägigen Online-Magazin «Bite Back» publiziert ist. «Wir werden dein Leben zerstören.» Den massiven Drohungen vorangestellt ist eine ausführliche Beschreibung der Aktion in der Brandnacht. Und die ketzerische Frage: «Das war nicht deine Woche, Daniel?»
Das war es nicht. Denn die Brandstiftung ist bereits der zweite Anschlag auf den Novartis-Chef innert sieben Tagen. Pietätlos und noch gezielter auf seine persönlichen Gefühle ausgerichtet war die vorangegangene Tat: In Chur schändete eine unbekannte Täterschaft die Gräber seiner Eltern und von Verwandten. Sie versprayten die Grabsteine, rissen den Grabschmuck aus und steckten stattdessen zwei beschriftete Holzkreuze ein. Was oder wessen Namen darauf geschrieben stand, gibt die Bündner Polizei nicht bekannt. Gleichzeitig gruben die Täter die Urne von Vasellas 2001 verstorbener Mutter aus und nahmen sie mit. Die Botschaft, die sie in fetten, roten Lettern auf den Grabsteinen zurückliessen, lautete: «Drop HLS now» – «mach Schluss mit HLS». Mit demselben Slogan und massiven Drohungen gegen Daniel Vasella wurde Tage zuvor in seinem Wohnort Risch auch die Kirche St. Verena verschmiert.
Vom Tierschutz zum Terror
HLS: Die drei Buchstaben stehen für «Huntingdon Life Sciences», das grösste Tierversuchslabor Europas, das in England unter anderem für Pharmafirmen Versuche an Tieren durchführt (vgl. Text rechts oben). Allein die Erwähnung dieses Namens rückt ganz bestimmte, militante Tierschutzorganisationen in den Kreis der Verdächtigen: die britische Gruppe SHAC («Stop Huntingdon Animal Cruelty», sinngemäss: Stoppt die Grausamkeit gegen Tiere von Huntingdon), die ALF («Animal Liberation Front», Tierbefreiungsfront) und die MFAH («Militant Forces against Huntingdon Life Sciences» – militante Kräfte gegen das Huntingdon Life Sciences).
Hinter diesen Namen stehen Organisationen, die sich dem Kampf gegen Tierversuche verschrieben haben. SHAC wurde 1999 explizit mit dem Ziel gegründet, die Schliessung des Labors HLS zu erreichen. Nachdem Bilder grausamer Versuche und Haltungsbedingungen der Tiere in der Firma HLS öffentlich gemacht worden waren, konnten die Aktivisten zunächst auf die Sympathie der als tierlieb bekannten Engländer zählen. Doch im Lauf der Jahre wurden die Attacken auf HLS zunehmend brutaler, und SHAC wandelte sich immer mehr zu einer gewaltbereiten Untergrundbewegung – was die Organisation auf ihrer Homepage selbst dokumentiert: Die Liste ihrer inhaftierten Mitglieder – unter ihnen auch der Mitgründer Greg Avery – ist lang. Die Strafmasse liegen zwischen einigen Monaten und zwölf Jahren, verurteilt wurden sie wegen Drohungen, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen, Sprengstoffanschlägen. Eine SHAC-Aktivistin, die einen Laborangestellten und seine Kinder mit dem Tod bedroht hatte, sagte nach ihrer Verurteilung: «Ich bin doch nur eine harmlose Tierliebhaberin.»
Möglich, dass sich manche Mitläufer in ihrer falsch ausgedrückten Tierliebe des Ausmasses ihres Tuns nicht bewusst sind – was die Taten nicht mildert. Die Drahtzieher hingegen, die hinter den Aktionen stehen, setzen bewusst auf gewaltbereiten Extremismus. Weil sie der Meinung sind, dass ihr Ziel mit anderen Mitteln nicht zu erreichen sei. Ihre Bekennerschreiben zu ihren legalen und illegalen Aktionen publizieren sie unter anderem im Online-Magazin «Bite Back», unter der Rubrik «Nachrichten von der Front». Den Bericht über den Brandanschlag auf Vasellas Jagdhaus hat eine Gruppe namens MFAH Austria unterzeichnet. Laut dem Betreiber des Online-Magazins, der im amerikanischen Palm Beach sitzt, werden die Bekennerschreiben bei ihm anonym eingereicht, sie seien in der Regel authentisch: «Die meisten sind von den verantwortlichen Aktivisten selbst verfasst», teilt er auf Anfrage mit.
Als Pädophiler verleumdet
Die umfangreiche Liste zeigt, dass allein in diesem Jahr etliche Anschläge auf Novartis-Mitarbeiter verübt worden sind. In einer Nacht im Mai beispielsweise geben Mitglieder der ALF an, im Kanton Basel-Landschaft bei vier Novartis-Mitarbeitern Häuser und Autos besprayt und Reifen aufgeschlitzt zu haben. Tage zuvor wurde im französischen Saint-Louis das Klubhaus des SC Novartis abgefackelt. Und in Solothurn fand ein Novartis-Angestellter Brandsätze unter seinen drei Autos.
Satoshi Sugimoto, ein Sprecher von Novartis, bestätigt, dass das Unternehmen und seine Mitarbeiter seit Jahren und in letzter Zeit vermehrt das Ziel militanter Tierschützer waren. Bereits mehrmals direkt betroffen war Novartis-Forschungschef Paul Herrling. «Einmal wurden uns Pistolenkugeln nach Hause geschickt, letztes Jahr wurde unsere Wohnungsumgebung verschmiert, und an der Busstation unserer Wohngemeinde wurde ich als Pädophiler verleumdet», erzählt er. Dies sei eine altbekannte Einschüchterungstaktik der Aktivisten. «Sie können sich vorstellen, wie unangenehm das für meine Familie und mich ist.»
Für Novartis gab es laut Sugimoto nie Zweifel, dass auch hinter den jüngsten Angriffen militante Tierschützer stehen. «Diese Extremisten benutzen regelmässig andere Namen, heute nennen sie sich MFAH, morgen SHAC oder ALF, es sind aber immer dieselben Leute, die diese Taten begehen.» Aufgrund der Häufung der Vorfälle haben Novartis wie auch andere betroffene Pharmafirmen die Sicherheitsmassnahmen und den Personenschutz verstärkt. Laut dem Dienst für Analyse und Prävention DAP, dem Inlandnachrichtendienst der Schweiz, ist Vorsicht angebracht: Er rechnet mit weiteren Anschlägen (vgl. Interview).
Das Vorgehen der Aktivisten ist jeweils präzise geplant. Das Umfeld der Opfer wird genau inspiziert. Privatadressen werden nicht nur herausgefunden, sondern auch veröffentlicht: Auf den Homepages der Organisationen finden sich Adressen, Nummern und Fotos der Mitarbeiter ganzer Abteilungen von Pharmabetrieben, einem Pranger gleich. Ein Unternehmer, der selbst ins Visier von Tierschützern geriet und seinen Namen nicht genannt haben will, erzählt, dass Tierschutzorganisationen – auch solche aus der Schweiz, die nicht als militant bekannt sind – Mitarbeiter angehen und ihnen Zahlungen im fünfstelligen Bereich für Informationen oder Bildmaterial aus den Betrieben anbieten. «Ich habe Beweise dafür, dass ehemaligen Mitarbeitern von mir für Sabotageaktionen und Filmmaterial grosse Summen angeboten wurden», erzählt er. Oft werde das Bildmaterial auch manipuliert.
Umstrittene Tierversuche
Unbestritten ist indes, dass Tierversuche umstritten sind. Organisationen in der Schweiz, die sich gegen Versuche oder für deren Abschaffung einsetzen, distanzieren sich aber klar von den Gewaltaktionen. «Es ist widersprüchlich, im Kampf gegen Gewalt an Tieren Gewalt an Menschen anzuwenden», sagt etwa Christopher Anderegg, Präsident des Vereins zur Abschaffung der Tierversuche. «Solche Gewaltaktionen machen unsere Arbeit für die Abschaffung der Tierversuche und den Tierschutz noch viel schwieriger.» Anderegg ist Wissenschafter und führte selbst einst Tierversuche durch. «Heute lehne ich Tierversuche als irreführend und nicht aussagekräftig ab.»
Für Franz Paul Gruber vom Verein Ärzte für Tierschutz hingegen kann bei der Entwicklung von Medikamenten nicht auf Tierversuche verzichtet werden – sie sind gesetzlich vorgeschrieben. Ohne Tierversuche wird kein Medikament zugelassen. Er weist darauf hin, dass sich in den letzten Jahren viel zugunsten der Tiere verändert habe: Jeder Versuch muss von einer Ethikkommission bewilligt werden. Und es werde intensiv an Alternativmethoden geforscht: zum Beispiel mit Tests an Organen geschlachteter Tiere. Dennoch stieg die Zahl der Tierversuche in der Schweiz letztes Jahr an: 731 833 Tiere wurden für Versuche gebraucht. Das sind 2005 Tiere pro Tag.
Novartis senkte die Zahl der Tierversuche im letzten Jahr um 9 Prozent. Wobei nur ein Fünftel davon in der Schweiz durchgeführt wurde – die übrigen Versuche fanden in den USA, in England und Singapur statt. Mit dem Tierversuchslabor HLS allerdings – gegen das sich die Aktionen der militanten Tierschützer explizit richten – arbeitet Novartis laut Sprecher Sugimoto nicht zusammen: «Wir führen seit Jahren keine Studien oder andere Arbeiten mehr bei HLS durch.»
Das scheint den radikalen Tierschützern egal zu sein: In der Agenda des SHAC ist vom 24. bis zum 30. August 2009 eine Aktionswoche eingetragen: Eine Woche «voller Aktionen gegen die wichtigsten Kunden der Tierversuchs-Fabrik HSL». An erster Stelle wird Novartis als Ziel genannt.
60 000 getötete Tiere pro Jahr
Im Tierversuchslabor Huntingdon
Am meisten fasziniert die flinken Kerle der Kugelschreiber. Sobald ich versuche, etwas aufzuschreiben, greift einer der Javaneraffen durch die Gitterstäbe nach dem Stift. Er gehört mir ohnehin nicht. Meinen eigenen Kugelschreiber musste ich draussen lassen – er könnte eine Kamera enthalten. Das will man bei Huntingdon Life Sciences (HLS) nicht riskieren.
1996 tappte die Firma in Cambridgeshire, die im Auftrag von Pharmafirmen Tierversuche durchführt, in die Falle. Damals schlich sich eine Fernsehreporterin ein und dokumentierte Gewaltanwendung gegen Tiere. Die verantwortlichen Pfleger und der Manager wurden entlassen. «Seither werden Mitarbeiter ermuntert, Unrechtmässigkeiten geheim zu melden», sagt Andrew Gay, der Marketing- und Kommunikationsdirektor von HLS. Mittlerweile hat Grossbritannien die Richtlinien für Tierversuche verschärft. 1997 wurden sie für Kosmetika verboten, 1998 auch für Kosmetik-Bestandteile.
Angriff mit Pickelgriff
Wir gehen in Labor-Anzügen durch Reihen von Javaneraffen. An ihnen wird ein Krebsmittel getestet, in unterschiedlichen Dosierungen – auf Laien wirken indes alle Tiere gleich. Sie klettern in ihren Käfigen auf und ab und schauen neugierig zu. Die Käfige habe er selbst entworfen, erzählt der Tierschutzbeauftragte für Affen. Sein Name wird nicht genannt. Die Mitarbeiter sollen nicht zur Zielscheibe von militanten Tierversuchsgegnern werden. Die Angriffe von Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC) hätten nachgelassen, sagt Direktor Brian Cass, der 2001 vor seinem Haus mit einem Pickelgriff zusammengeschlagen wurde. Erst als die Polizei die Übergriffe nicht mehr vereinzelt, sondern als organisierte Verbrechen behandelte, habe sie gezielt gegen die Leute vorgehen können. In der Folge konzentrierten sich diese auf Dritte, auf Kunden und Zulieferer. «Wichtig ist darum, dass die Behörden nach den Angriffen auf Daniel Vasella auf europäischer Ebene zusammenarbeiten», sagt Brian Cass.
HLS wurde 1952 gegründet und ist die grösste Tierversuchsfirma Europas, mit 950 Angestellten in Huntingdon und 700 weiteren in Suffolk und in den USA. Sie bedient 450 Kunden jährlich und schliesst 2500 Studien ab; zu 85 Prozent für die Medizin, hinzu kommen toxikologische Gutachten für Landwirtschaft und Chemie. «Wir machen auch viele Versuche im Labor und am Computer», sagt Andrew Gay. Trotzdem werden jedes Jahr rund 60 000 Tiere gebraucht. 84 Prozent sind Ratten und Mäuse, 7,5 Prozent Fische, der Rest teilt sich auf in Kaninchen, Vögel, Hunde, Primaten. Medikamente müssen an zwei Arten getestet werden, erst an Nagern, dann an Hunden, Schweinen oder Affen.
Tod nach dem Test
Versuche mit Primaten sind besonders umstritten, bei HLS machen sie 1,5 Prozent aus. Die Lizenzbedingungen seien dafür am strengsten, sagt die Projekt-Lizenzhalterin: «Um die Erlaubnis der Regierung zu erhalten, müssen wir beweisen, dass alle andern Arten ungeeignet sind.» 400 der witzigen Kerle sind derzeit in Huntingdon, sie werden in Südostasien gezüchtet.
Die mir vorgestellten Krebsmittel-Tester hausen zu sechst in einem Käfig, damit die Dosierungen nicht vermischt werden. Die Impfstoff-Tester im Nebenraum haben es besser. Sie leben in grösseren Gruppen in Räumen mit Autoreifen und Planschbecken. Alt werden sie alle nicht. Nach dem Test werden sie eingeschläfert und obduziert. «Das mag brutal klingen», sagt Andrew Gay, «aber das ist der wichtigste Teil des Versuchs. Nur so können wir die Auswirkungen der getesteten Substanzen auf die Organe erkennen.» Lilo Weber, Huntingdon
http://www.nzz.ch/nachrichten/panorama/terror_im_namen_des_tiers_1.3302823.html