Protest der Milchbauern
Wütende Bauern düngen mit Milch
Miriam Hesse, veröffentlicht am 19.09.2009
Auf einem Freiberger Acker verspritzen die Landwirte aus Protest ihr wertvollstes Lebensmittel. Foto: factum/Granville
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Ludwigsburg - Eigens ausgeschrubbt hatte der Landwirt Walter Bäßler den Tank. Aus dem Bottich, in dem sonst die Gülle transportiert wird, sollte am Freitag möglichst reine Milch auf die Felder des Freiberger Bauern spritzen. "Das ist es doch, wozu man uns zwingt", sagt Bäßler, der als Freier Wähler im Freiberger Gemeinderat sitzt, über die relativ spontan anberaumte Versammlung.
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"Drosselt die Drehzahl, damit wir nicht alle weiß werden", ruft Wolfgang Eckstein aus Remseck, auf dessen Signal hin die zehn Traktoren vom Wegesrand starten und die Düsen anwerfen. Insgesamt 70.000 Liter ihres wertvollsten Lebensmittels, die teils von weiteren Bauern aus dem Landkreis gespendet wurden, pumpen Eckstein und seine Mitstreiter mit verschlossener Miene vor Publikum auf den kahlen Acker. Sie würden die Milch wohl auch verschenken, um auf ihre Probleme hinzuweisen, aber das dürfen sie wegen des Genossenschaftsvertrags nicht.
Schuld sind EU und nationale Politik
Mit der Protestaktion wollen sich die Milchbauern mit den streikenden Kollegen in Frankreich und Belgien solidarisch zeigen. Auch im Kreis Ludwigsburg sei die Existenz vieler Betriebe durch den niedrigen Milchpreis bedroht, sagt Eckstein: "Unser Kapital wird einfach vernichtet." 40 Cent pro Liter fordern die Landwirte statt der momentanen 24 Cent. Schuld an der Misere seien die zu hohen Milchmengenquoten der Europäischen Union ebenso wie die nationale Politik, die vom Bauernverband schlecht beraten sei. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) wiederum darf nicht offiziell zum Lieferstreik aufrufen, jedoch über die Aktionen zum Beispiel in Belgien informieren. In Baden-Württemberg hatten am Freitag im Hohenlohekreis und bereits am Mittwoch in Schwäbisch Hall mehrere Bauern die symbolträchtige Düngeaktion nachgemacht.
Die gezielte und ungestrafte Überproduktion durch manche Großbetriebe habe den Preis verfallen lassen, schimpft der Ditzinger Gerhard Siegle, der auf seinem Hof rund 40Kühe hat und etwa 30.000 Liter Milch produziert. Momentan seien nur noch die Herstellungskosten gedeckt. "Gemolken wird umsonst." Und während die Kunden im Supermarkt zur Limo mit ungesundem Farbstoff greifen, versauere sein mühevoll hergestelltes Produkt im Regal. Milchseen, Butterberge - dieses einst abgeschaffte Szenario werde nun durch die Politik und die Molkereiindustrie wieder real: Die Eltern und Großeltern, von denen man den Familienbetrieb geerbt habe, würden diese Entwicklung noch weniger begreifen, sagt Siegles Ehefrau Anja: "Die waren doch froh, wenn sie ein Stück Brot in ein Glas Milch eintunken konnten."
Die Tiere bekommen die Milch sogar ins Futter
Die Landwirtin Eva Maisch will eigentlich gar nicht mit ansehen, wie die Produktion von zwei Tagen auf dem Feld verteilt wird. "Bei dem Anblick drehen sich einem die Kutteln um", sagt die Gerlingerin. Wie viel gearbeitet werden muss für das, was hier weggekippt wird und im Ackerboden versickert? "365 Tage im Jahr, rund um die Uhr." Dass seine Haupteinnahmequelle tatsächlich bald versiegen könnte, befürchtet der Freiberger Bäßler. Einen Dreiviertelliter seiner Lebensgrundlage trinkt er jeden Morgen: "Ich weiß ja, was drinsteckt." Auf seinem Hof freuen sich allerdings nur die Kälber über den Überschuss. Normalerweise bekommen nur die Frischgeborenen die zusätzliche Eiweißration. In der jetzigen Situation muss Bäßler auch den älteren Kälbern Milch ins Futter mischen.
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2202917_0_9223_-protest-der-milchbauern-wuetende-bauern-duengen-mit-milch.html