Luxemburg (dpa) - Die Verhandlungen über eine weit reichende Reform der milliardenschweren EU-Agrarpolitik treten weiter auf der Stelle. Die griechische EU-Ratspräsidentschaft versuchte in Einzelgesprächen mit den Delegationen, Kompromisse auszuloten. Agrarkommissar Franz Fischler forderte die EU-Staaten auf, seinen radikalen Vorschlägen zu folgen, da sonst die Ausgaben für die Landwirtschaft explodierten.
Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast ging ungeachtet der schwierigen Beratungen davon aus, das bis zum Wochenende eine «große Reform» ausgehandelt werden könne. Für diesen Freitag wurde ein neues Kompromisspapier erwartet.
Fischler will einen Systemwechsel. Derzeit sind die Prämien im Getreideanbau und in der Tierzucht an die Menge gekoppelt: je mehr die Bauern produzieren, desto mehr Prämien bekommen sie. Diesen Anreiz zur Überproduktion will er abschaffen. Die Bauern sollen monatlich einen fixen Betrag bekommen, der ihre Existenz sichert. Dafür sollen sie tatsächlich vom Verbraucher nachgefragte Agrarerzeugnisse in erstklassiger Qualität sowie tier- und umweltgerecht produzieren. Zudem sollen mehr Mittel für den ländlichen Raum bereitgestellt werden. Fischler will großen Betrieben die Beihilfen kürzen, um damit die EU-Erweiterung um zehn neue Mitglieder im Agrarbereich zu finanzieren.
Der griechische Agrarminister und amtierende Ratsvorsitzende Georgios Drys, sagte: «Alle haben begriffen, dass die Stunde der Entscheidung gekommen ist.» Fischler lobte, dass die Mitgliedstaaten konstruktiv mitarbeiteten. «Die Wunschzettel sind nach der Vorlage des Kompromisses nicht länger, sondern kürzer geworden», sagte er. Zur gemeinsamen deutsch-französischen Position sagte Fischler: «Es kann nicht sein, dass zwei Mitgliedstaaten bestimmen, was die anderen 13 zu tun haben.»
Künast sah nach den ersten Verhandlungsrunden positive Signale. «Wir sind auf dem Weg, eine Riesenreform zu machen», sagte sie. Ihr gehe es darum, drei zentrale Punkte durchzusetzen: mit der Entkopplung von Produktionsmenge und Menge zu beginnen, mehr Mittel in den ländlichen Raum zu leiten und die Landwirte zu Umwelt- und Tierschutz zu verpflichten. Sie bekräftigte, den ökologischen Landbau im Zuge der Reform mehr fördern zu wollen.
Der französische Landwirtschaftsminister Hervé Gaymard hatte den ersten Kompromiss als nicht akzeptabel abgelehnt. Wie aus Delegationskreisen verlautete, zeigte sich Gaymard allerdings bei der Entkopplung flexibel. «Da ist mehr drin, als Frankreich bisher angeboten hat», sagte ein Diplomat.
Künast und Gaymard nannten für ihre Position keine Zahlen. Aus den Delegationen verlautete, dass Deutschland und Frankreich den Fleischbereich von der Entkopplung ausnehmen und im Getreidebereich nicht alle Prämien von der Produktionsmenge trennen wollen.
Fischler erinnerte die EU-Staaten noch einmal daran, dass eine weit reichende Agrarreform auch für die laufenden Verhandlungen der Welthandelsrunde unverzichtbar sei. Die EU steht unter Druck, ihre als wettbewerbsverzerrende direkten Beihilfen abzubauen. Im September wird es im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) Verhandlungen auf Ministerebene geben.
© dpa - Meldung vom 12.06.2003 15:08 Uhr