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Absurdes scheint den Ausbeutern souverän

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Absurdes scheint den Ausbeutern souverän

Autor: Achim Stößer | Datum:
Die Rezensentin von Coetzees neuerschienenem Werk findet, es sei, "belegt" durch den "Jubel in den Communities der Veganer und Tierschützer" als simple Agitationsschrift zu vereinnahmen - und daß absurder Unfug "souverän" sei.

J. M. Coetzee: Ich ist ein anderer

Autor: Achim Stößer | Datum:
Von Christa Nebenführ (Spectrum) 19.06.2004

Die Rechte der Tiere waren J. M. Coetzee schon vor dem Band "Elizabeth Costello" wichtig. Und die "acht Lehrstücke" sind nicht so schlecht, wie eifernde Tierschützer sie gut finden.



Seit langem zieht sich die Beschäf tigung mit dem Verhältnis der Menschen zu den Tieren durch das Werk J. M. Coetzees. In der Begründung für die Vergabe des Nobelpreises 2003 hat die Schwedische Akademie die dabei angelegte intellektuelle Ehrlichkeit hervorgehoben: "Auch wenn seine eigene Überzeugung durchscheint wie in der Verteidigung der Rechte der Tiere, so erhellt er eher die Voraussetzungen dieser Überzeugung, als dass er für sie argumentiert."


Tatsächlich geht Coetzee in seiner jüngsten Publikation, "Elizabeth Costello", so weit, ein "Machtspiel" als Triebfeder für die moralischen Anstrengungen seiner Protagonistin in Erwägung zu ziehen. Der Vorwurf ihrer Schwiegertochter, die als Gastgeberin von den Sonderwünschen der Vegetarierin beim Essen genervt ist, bleibt unwidersprochen. John, Sohn und Ehemann, erwidert lediglich: "In wenigen Stunden ist sie fort."


Die acht "Lehrstücke", aus denen sich das Buch "Elizabeth Costello" laut Titelunterschrift zusammensetzt, handeln von einer Schriftstellerin des Jahrgangs 1928, die mit ihrem Sohn, ihrer Schwester und ehemaligen Liebhabern zusammentrifft, während sie Einladungen zu Vorlesungen, Konferenzen und Preisverleihungen Folge leistet. Aus dieser Konstruktion ergibt sich die Möglichkeit, eine kontextuelle Verbindung zwischen Essays - den Vorträgen von Elizabeth Costello - und den privaten Verstrickungen ihrer (fiktionalen) Verfasserin herzustellen.

Man müsste eigentlich davon ausgehen, dass diese Taktik, Thesen radikal an die Verfasstheit ihrer Verfechterin zu binden, imstande wäre, das Werk vor der Vereinnahmung als simple Agitationsschrift zu bewahren. Der Jubel in den Communities der Veganer und Tierschützer widerlegt dies allerdings. Die Brüche und Widersprüche, die dieses Werk, gerade weil es kein Essay ist, seinen inhärenten Diskursen zumutet, werden in diesen Jubelbesprechungen übergangen. Zum Beispiel, dass die Kontrahenten der Titelfigur im Allgemeinen als souveräner dargestellt werden, als sie selbst. Dies gilt jedenfalls für den Autor Paul West, dessen Werk sie zu kritisieren beabsichtigt, oder den Juden Abraham Stern, der ihrem Vergleich zwischen Tierquälerei und Holocaust entgegenhält: "Der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen, aber Gott ist nicht das Abbild des Menschen. Wenn man Juden wie Vieh behandelte, folgt daraus nicht, dass Vieh wie Juden behandelt wird."


Die Ausführungen Costellos variieren von literaturtheoretischen (Realismus, Der Roman in Afrika), moralischen (Das Leben der Tiere, Die humanistischen Wissenschaften in Afrika) bis zu existenziellen Themen (Das Problem des Bösen, Eros, Vor dem Tor). Ihr Eintreten für die Tiere nimmt darin aber die prominenteste Position ein.


Der überwiegende Teil dieser Aufsätze wurde bereits vor ihrer Zusammenfügung für "Elizabeth Costello" publiziert. So wurde unter anderem die 1999 erschienene Erzählung "Das Leben der Tiere" praktisch unverändert als Lehrstück drei und vier übernommen. Das Wissen um die unterschiedlichen Entstehungsdaten, ja Entstehungszwecke wirft allerdings ein merkwürdiges Licht auf formalästhetische Besonderheiten der Zusammenstellung. Die Lehrstücke sind sämtlich in der dritten Person Gegenwart geschrieben, und der Erzähler nimmt über die Innenschau meistens den Blickwinkel Elizabeth Costellos, einer etwas schrulligen, unfreundlichen und unsicheren älteren Dame, einige Male aber statt dessen den ihres Sohnes ein. Der dramaturgische Zweck dieser Wechsel ist aber nicht ersichtlich, sondern die Perspektiven sind jeweils nur innerhalb der Geschlossenheit des betreffenden Lehrstückes einleuchtend. Dasselbe gilt für den Wechsel der Genres, der in der Kafka-Paraphrase "Vor dem Tor" seinen Höhepunkt findet. Der künstlerische Zweck der Ergänzung und Neuzusammenstellung erschließt sich nicht. Auch bleiben durch die Ambition, Erzählung und Abhandlung zu vereinen, die Figuren letztlich so blass wie der Diskurs dünn.


Wenn sich Elizabeth Costello zum Beispiel erinnert: "Einer von Célines Romanen, dessen Titel ihr jetzt nicht mehr einfällt, spielt mit dem Sadismus, Faschismus, Antisemitismus", vermisst die Rezensentin eine Fußnote ebenso schmerzlich, wie angesichts des verstümmelten Rimbaud-Zitates im letzten Lehrstück. Was Céline betrifft, ist der Antisemitismus in den Romanen, in denen er auftaucht, nämlich eine todernste Überzeugung, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein Publikationsverbot nach sich zog. Und wenn Elizabeth Costello vor einem surrealen Gericht plädiert: "Ich bin ein anderer. Entschuldigen Sie, dass ich zu Worten Zuflucht nehme, die nicht von mir sind", kann man das, zumal es kursiv gesetzt ist, schwerlich anders verstehen denn als Anspielung auf das berühmte Rimbaud-Zitat "Je est un autre". Dessen Pointe liegt aber gerade darin, dass es nicht heißt "Je suis", sondern "Ich ist".

In einem literarischen Text besteht natürlich keinerlei Verpflichtung, irgendwelche Andeutungen zu erläutern, aber durch die Kursivschrift und den Verweis, dass die Worte nicht von der Protagonistin seien, werden halbherzig Fährten gelegt, die ins Leere münden. Das gilt in gewisser Weise auch für den "Nachtrag: Brief von Elizabeth, Lady Chandos, an Francis Bacon". Zwar wird aus Hofmannsthals Chandos-Brief zitiert, und die Gleichheit der Initialen E. C. (Chandos/Costello) ist unverkennbar, aber darüber hinaus besteht die Verbindung zu den anderen Texten offenbar einzig in der Belehrung durch den Autor.


Einige Fußnoten sind übrigens der Vereinheitlichung der Lehrstücke zum Opfer gefallen, denn in der Erstpublikation des Lehrstückes fünf (als Niederschrift eines Vortrages in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung im März 2001) waren sie noch reichlich vorhanden.


In Coetzees Roman "Schande" sagte der Literaturprofessor David Lurie zu seiner Tochter: "Für mich sind Tierschützer ein wenig wie gewisse Christen. Alle sind so voll guten Mutes und bester Absicht, dass es einen nach einer Weile juckt, loszuziehen, um ein bisschen zu vergewaltigen und zu plündern. Oder einer Katze einen Tritt zu verpassen."

Im Lichte dieses Bekenntnisses lässt sich über Elizabeth Costello etwas zugespitzt resümieren: Das Buch ist nicht so schlecht, wie es eifernde Tierschützer gut finden, aber als Einstiegslektüre sind die früheren Romane von J. M. Coetzee wahrscheinlich besser geeignet.



  • J. M. Coetzee
    Elizabeth Costello
    Acht Lehrstücke. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. 284 S., geb., € 20,50 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/
    Main)



    http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=k&ressort=kl&id=427607
  • Meisterin intellektueller Dissidenz: Coetzees «Elizabeth Costello»

    Autor: Achim Stößer | Datum:
    Johannesburg (dpa) - Elizabeth Costello ist eine Intellektuelle, der die Zeit davon läuft. «Ich bin eine alte Frau. Ich habe keine Zeit mehr zu sagen, was ich nicht meine», sagt die 66-jährige Schriftstellerin.

    1969 wurde sie mit ihrem Roman «House on Eccles Street» international bekannt, einem Buch über Marion Bloom, die Frau des Helden von James Joyces «Ulysses». Elizabeth Costello aus Melbourne ist eine Erfindung. Sie ist die Titelfigur von John Maxwell Coetzees gleichnamigem Roman, der jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt.

    Der südafrikanische Literatur-Nobelpreisträger von 2003, der heute wie seine Hauptfigur in Australien lebt, konfrontiert seine Leser mit einem verwirrenden und nicht immer einfach zu lesenden Werk. Es ist weniger ein Roman als eine Sammlung fiktiver Reden und Vorträge, von einer Rahmenhandlung locker zusammengehalten. «Acht Lehrstücke» nennt Coetzee selbst sein Buch im Untertitel.

    Seine Heldin lässt er darin auf Kongressen und Symposien rigoros, schroff und oft intuitiv über ethische Themen wie den Missbrauch der Tiere durch den Menschen, die Humanwissenschaften in Afrika, die Darstellung des Bösen in der Literatur oder auch das Erotische dozieren, philosophieren und provozieren. Ihre unkonventionellen Standpunkte verprellen, rufen Unverständnis und Ablehnung hervor. Sie meidet den Konsens, durchbricht immer wieder Konventionen und wagt sich in neue Denkansätze vor.

    In einer Welt der fest gefügten Gewissheiten und Vorurteile ist Elizabeth Costello als alte Frau auf der Suche nach neuen Einsichten und Erkenntnissen. Als Meisterin der intellektuellen Dissidenz verwirrt und enttäuscht sie dabei ihre Zuhörer - und oft auch sich selbst. Sie bleibt unverstanden, wirkt verstört und wird mitleidig belächelt. Mit Sätzen wie: «Das Andersartige ist die Herausforderung» ruft sie hoch gezogene Augenbrauen hervor.

    Ein Vortrag in den USA, auf dem sie die grausame Gewalt gegen Tiere in den Schlachthöfen mit dem Holocaust in Verbindung setzt, bringt ihr öffentlichen Unmut ein. Und Beifall von Leuten, «deren Unterstützung ihr überwiegend peinlich ist - heimliche Antisemiten, sentimentale Tierschützer»" Vehement rechnet sie mit einem System ab, das Tiere auf eine Stufe mit seelenlosen Gegenständen setzt.

    «Ich will es deutlich sagen», schleudert sie ihrem verblüfften Publikum am Appleton College in Waltham entgegen: «Rings um uns herrscht ein System der Entwürdigung, der Grausamkeit und des Tötens, das sich mit allem messen kann, wozu das Dritte Reich fähig war, ja es noch in den Schatten stellt, weil unser System kein Ende kennt, sich selbst regeneriert, unaufhörlich Kaninchen, Ratten, Geflügel, Vieh für das Messer des Schlächters auf die Welt bringt.»

    Gerade, weil sie äußerst belesen ist, kommen ihr zunehmend Zweifel an bestehenden Konzepten und Modellen. Sie reflektiert über das Denken selbst, über die Vernunft, die Erkenntnisfähigkeit. Eine ihrer Schlussfolgerungen: «Der Realismus setzte die Idee voraus, dass Ideen keine autonome Existenz haben, nur in Dingen existieren können.» Coetzee, Autor von «Schande» und einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren, äußerte sich Ende Mai in einem Interview des französischen Magazins «Le Nouvel Observateur» selbst zu seinem jüngsten Werk. Der in Adelaide lebende Akademiker erklärte: «Elizabeth Costello (...) hält nicht nur Vorträge, sie lebt sie. Und sie lebt sie zu einem besonders kritischen Augenblick ihrer Existenz, als sie den Tod nahen fühlt. Die Fiktion in meinem Roman entsteht aus dieser Erfahrung, mehr noch als aus den Ideen, die Elizabeth im Laufe ihrer Seminare entwickelt.»

    J.M. Coetzee

    Elizabeth Costello

    S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main

    285 S., Euro 19,90

    ISBN 3-100-10820-5



    © dpa - Meldung vom 28.06.2004 14:48 Uhr