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Aquafarmen

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Aquafarmen

Autor: Achim Stößer | Datum:
Neue Wege bei der Ausbeutung von Fischen beschreibt in einem Ausbeuterpropagandaartikel die "Zeit": u.a. werden Lachse neuerdings in "Fischfarmen" "vegetarisch" ernährt. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis Tierschützer protestieren - nicht etwa wegen der eigentlichen verbrechen, der Gefangenhaltung und dem gewaltsamen Tod der Fische, sondern wegen "nicht artgerechter Ernährung".

Landwirtschaft: Bauernhof unter Wasser

Autor: Achim Stößer | Datum:
Die Ernte in Aquafarmen ersetzt den Fischfang. In Norwegen träumt man schon von der "blauen Revolution". Dorsch und Butt werden domestiziert, Räuber wie der Lachs zu Vegetariern erzogen. Ein Blick unter die Wasseroberfläche

Von Hans Schuh



© Wieslaw Smetek für DIE ZEIT
Das Flugzeug folgt der zerklüfteten Südwestküste Norwegens. Die versunkene Sonne hat rötlich-blaues Dämmerlicht zurückgelassen, in dem sich Wasser und Berge ein schroffes Wechselspiel liefern. Die Klippen hier in „Fjordnorwegen“, der Region zwischen Stavanger und der Exhauptstadt Bergen, sind teilweise so steil, dass die Bergbauern früher ihr Vieh mit Tauen sichern mussten, damit es nicht die Hänge hinunterstürzte.

Doch das ist Nostalgie. Mittlerweile hat sich die Tierzucht von der Wiese ins Wasser verlagert. Statt auf kargen Hängen Ziegen, Schafe und Rinder zu weiden, züchten die Norweger lieber Lachs und neuerdings auch Butt und Dorsch in ihren unzähligen Buchten. Vereinzelte Lichter, die aus dem dunklen Wasser nach oben leuchten, künden beim Nachtflug von diesen „Aquafarmen“ unter Wasser. Sie sind eine neue große Hoffnung der Fischfangnation.

Weltweit sind die Ozeane fast ausgeplündert. Seit 20 Jahren stagniert der Fischfang, obwohl die Jagd bereits bis in die Tiefsee reicht. Je weniger in der Wildnis zu holen ist, desto attraktiver wird die Zucht. Schon heute stammt fast ein Drittel der globalen Fischernte aus Aquakulturen, denen Experten ein stetes Wachstum für die nächsten 20 Jahre prophezeien. Der grünen Revolution auf den Äckern soll weltweit die blaue Revolution der Meereswirtschaft folgen. Dabei will Norwegen, weltgrößter Exporteur von Fisch und Meeresfrüchten (Seafood), auch im Aquafarming eine Vorreiterrolle spielen. Eine „blau-grüne Allianz“ soll hier eine nachhaltige Bewirtschaftung garantieren: Wildfische werden dabei geschont, Aquafarmen ausgebaut. Und Raubfische wie der Lachs werden mit pflanzlichem Futter aus Raps- und Sonnenblumenöl sogar zum Vegetarier erzogen.

Der moderne Fischfarmer sitzt am Bildschirm und schaut Lachs-TV

Aquavision lautete der Titel einer Konferenz über die „nachhaltige blaue Revolution“, zu der sich in der vergangenen Woche Aquafarmer aus aller Welt in Stavanger trafen. Und an Visionen mangelt es der Zunft in der Tat nicht. Das US-Magazin Wired feierte im Mai High-Tech-Pläne aus dem Massachusetts Institute of Technology: Riesige automatisierte Käfige sollen künftig vor der Küste Floridas starten, bestückt mit fingergroßen Jungfischen. Getragen von einer mächtigen zentralen Boje, die von Satelliten überwacht wird und automatisch Futter spendet, treiben die High-Tech-Fischfarmen im warmen Golfstrom in Richtung Europa. Nach neun Monaten landen sie mit erntereifer Fracht vor Portugals Küste. Das Technikwunder soll den globalen Eiweißhunger stillen.

In einer stillen und menschenleeren Bucht, 30 Kilometer nördlich von Stavanger, ist die Realität moderner Aquafarmen zu besichtigen. Von einem rotbraunen Holzhaus am Ufer führt ein langer Schwimmsteg ins Wasser. An großen, ringförmigen Halterungen hängen sechs Fischgehege – hier wachsen mehr als 100000 kleine und große Lachse heran. Das einzige Geräusch dringt aus den armdicken Kunststoffrohren, die sich vom Ufer aus zur Mitte jedes Netzgeheges schlängeln. „Pschfrrt. Pschfrrrrt. Pschfrrrrrrrt“, rasseln die Rohre. Dabei spucken sie jeweils einen Schub runder Futterpellets aus, die nach kurzem Flug im Wasser landen.

Was sich unter der gekräuselten Oberfläche tut, sieht man am besten im Holzhaus, das den Leitstand und Futtervorräte beherbergt. Dort sitzt der moderne Fischfarmer vor dem Lachs-TV. Gemächlich kreisen Fische über den Bildschirm, und ihr Züchter prüft, ob seine druckluftgetriebene Futterrohrpost, pschfrrt, tatsächlich die Fischmäuler erreicht. Sein Job ist es, Lachse effizient zu mästen und nicht den steilen, bis 200 Meter tiefen Fjordboden mit Pellets zu düngen.

Und die nächtlichen Scheinwerfergrüße beim Anflug? Dienen auch sie dem Privatfernsehauftritt der Lachse? „Nein“, lacht Wolfgang Koppe, Forschungschef für Aquakulturen bei der Firma Nutreco in Stavanger, „mit der nächtlichen Beleuchtung zögern wir die Geschlechtsreife bei größeren Tieren hinaus.“ Denn die drei bis vier Kilogramm schweren Lachse stellen ihren Stoffwechsel radikal um, wenn ihnen eine stete Abnahme des Tageslichts den nahenden Herbst signalisiert. Die Geschlechtsdrüsen werden aktiv, sie wollen losziehen zum Laichen in Flüsse und Bäche und nutzen für ihren Stoffwechsel vor allem die eigenen Fettreserven. „Dann ändert ihr Fleisch Konsistenz und Geschmack, und sie taugen eher als Katzenfutter“, erklärt Koppe. Das soll das Flutlicht verhindern.

Mit solchen Tricks betreibt Nutreco, eine der weltgrößten Futtermittelfirmen mit Hauptsitz in den Niederlanden, Aquafarmen auf allen Kontinenten. Denn die Fischzucht boomt. Der größte Produzent mit jährlich rund 30 Millionen Tonnen ist dabei China. Allerdings haben die Asiaten auch das Aquafarming in Verruf gebracht. Um ihre Meerestiere vor Krankheiten zu schützen, hatten die Chinesen kräftig Antibiotika ins Wasser gekippt. Anfang 2002 stoppte die EU den Import aller Garnelen und Zuchtfische aus China wegen Antibiotikarückständen. Mittlerweile darf China wieder in die EU exportieren. Der Imageschaden für die gesamte Branche aber ist geblieben.

Deshalb betonen in Norwegen Aquafarmer unisono, dass ihre Produkte rein seien. In Norwegen werde Klasse statt Masse produziert. Außerdem würden hier die Aquakulturen nicht, wie Umweltschützer immer wieder monieren, Küstengewässer und Wildfischbestände zerstören. Strikte Kontrollen sollen dafür sorgen.

Von den amerikanischen Plänen dagegen, die Fischzucht auf den offenen Ozean zu verlagern, hält der Agraringenieur Wolfgang Koppe „sehr wenig“. Vollautomatisierte Tierzucht sei eine Illusion: „Das sind abgehobene Nasa-Pläne von Technikern, denen der Bezug zur Praxis und Biologie fehlt.“ Auch Norwegen habe mit Gehegen auf offener See experimentiert – und die Versuche wieder aufgegeben. Offshore werde alles aufwändiger und teurer, die Wucht der Wellen habe die Testanlage zerstört, erzählt Koppe. Und genau das – kaputte Gehege, aus denen Zehntausende Zuchtfische entkommen und die Wildpopulationen stören – gelte es zu vermeiden.

Paradoxerweise habe die Verlegung aufs offene Meer auch die Fische gestört. „Die mochten das Schwanken der Gehege bei starkem Seegang nicht. Man hatte fast den Eindruck, sie würden seekrank“, schmunzelt Koppe. Ein weiteres Argument gegen die frei schwimmenden Aquafarmen ist der intensive Stoffwechsel in den Fischzuchten, der Algen und Muscheln sprießen lässt, die Netze verstopft und die Zufuhr von Frischwasser behindert. „Alle paar Wochen müssen wir die Netze reinigen. Wie soll das im Golfstrom gehen?“, fragt der Forscher. Zudem sei menschliche Präsenz wichtig, um Krankheiten oder Parasitenbefall früh zu erkennen und so Seuchen und Totalverluste zu vermeiden.

Um das zwangsläufig hohe Infektionsrisiko von Zehntausenden Fischen in einer Farm auch ohne Antibiotika zu kontrollieren, setzen die Norweger auf Impfung. „Gegen sieben wichtige Krankheiten beugen wir mittlerweile auf diese Weise vor“, sagt Koppe. Werden im Ernst jährlich Millionen Jungfische einzeln geimpft? Koppe nickt: „Die Fingerlinge werden von Hand in kleine Maschinen geschleust und bekommen dort ihren Pikser.“

Auch für Ole Torrissen sind Antibiotika in modernen Aquakulturen kein Thema mehr. Der Forschungsdirektor am Norwegischen Institut für Meeresforschung in Bergen gibt zwar zu, dass auch seine Landsleute ein Problem mit den Medikamenten hatten: 1987 verfütterten sie pro Tonne Zuchtlachs ein Kilogramm Antibiotika. Doch heute verhinderten strikte Rückstandskontrollen, dass Arzneimittelreste auf den Teller kommen.

600000 Tonnen Lachs und Meerforelle produziert Norwegen pro Jahr. Der Ertrag aus dem Meer ließe sich – geht es nach Torrissen – noch 30fach steigern. Der Platz wäre da: Norwegen verfügt mit seinen Inseln, Fjorden und Buchten über eine Küstenlinie von mehr als 25000 Kilometern, das entspricht dem Umfang des australischen Kontinents. „All unsere jetzigen Aquafarmen benötigen nicht mehr Platz als die Startbahn eines Flughafens“, hat Torrissen ausgerechnet. Dass in den Fischgehegen dennoch kein heilloses Gedränge herrscht, liegt an der dritten Dimension. „Die Gehege sind meist 30 Meter tief“, sagt der Meeresforscher, „das entspricht zehn Stockwerken.“

Eine vergleichbare Steakproduktion an Land müsste etwa einer Million Rindern Platz bieten. „Mit den Fleischproduzenten messen wir uns gerne“, sagt Torrissen und verweist auf die ökologischen Vorteile mariner Proteinfabriken: Zuchtfische verwerten das Futter doppelt so gut wie Hühner und dreimal so gut wie Schweine. Diese Effizienz erreichen Fische, weil sie als Kaltblüter weniger Energie verbrauchen als warmblütige Vögel oder Säuger. Ferner vermehren sich Fische schnell. „Ein Schwein kann jährlich ein Dutzend Nachkommen produzieren, ein Huhn dreihundert, ein Fisch Zehntausende“, sagt Torrissen. In speziellen Zuchtfarmen werden aus Rogen (Eiern) und Samen ausgewählter Fische Fingerlinge aufgezogen.

Der Stier im Unterwasserstall ist 4 Meter lang und wiegt 350 Kilo

Mit ihrem Konzept scheinen die Norweger auf dem richtigen Weg zu sein. Im Dezember vergangenen Jahres verglich die Zeitschrift Öko-Test 19 Räucherlachs-Seiten aus verschiedenen Ländern, testete die Belastung mit Umweltgiften wie Dioxin oder PCB, mit Schwermetallen, Medikamenten und Krankheitskeimen. Das Ergebnis: Am besten schnitten vier norwegische Räucherlachs-Seiten ab.

Erweitern wollen die Norweger ihr Angebot künftig vor allem um fettarme Weißfische wie Dorsch und den besonders begehrten Heilbutt. In dessen Zucht wollen sie Spitze sein. Ihre Vorzeigefarm für Heilbutt liegt eine Bootsstunde von Stavanger entfernt am Ufer. Sie gleicht einer Ansammlung schwarzer Zirkuszelte. Kriechend gelangt der Besucher über einen Metallsteg unter ein feucht-schummriges Plastikdach. Darunter rauscht ein mächtiger Wasserstrom. Nachdem sich die Augen an die Düsternis gewöhnt haben, scheint tief unter der Wasseroberfläche der Boden eines Riesentanks sichtbar zu werden. Erst bei näherem Hinsehen bemerkt man, dass sich dieser Boden ständig bewegt.

Schwarze Plattfische von der Größe eines Kinderdrachens schweben wie Rochen durchs Wasser. Große, parallel übereinander gespannte Flachnetze teilen den Tank in mehrere Ebenen – das Ganze erinnert an ein Unterwasserparkhaus. Und auf dessen Parkdecks lagern dicht an dicht die dunklen, weiß gefleckten Fische – willkommen im Hotel Butt.

Die stille Szenerie wird lebendig, als plötzlich mehrere der dunklen Drachen mit krummen Mäulern und schielenden Doppelaugen wackelnd aus dem Wasser stoßen und laut platschend unter der Nase des niederknienden Zweibeiners nach Futter gieren. Das hat durchaus etwas Bedrohliches. Denn der Heilbutt, Hippoglossus hippoglossus, kann Jahrzehnte alt und dann bis zu vier Meter lang und 350 Kilo schwer werden – ein wahrer Stier im Unterwasser-Stall.

„Sie sehen hier die weltgrößte Heilbuttproduktion“, erklärt Trond Sandvik lässig. Der Farm-Manager, ein junger Rotschopf, der im flatternden T-Shirt im zehn Grad kalten Wind steht, verantwortet eine Jahresproduktion, die bald 2500 Tonnen erreichen soll. Das entspräche „fast dem gesamten norwegischen Wildfang von Heilbutt“, sagt Sandvik stolz. Da die Bodenfische selten ins Netz gehen, ihr Fleisch aber begehrt ist, liegt ihr Preis viermal so hoch wie der von Lachs. Da lohnt sich die Zucht, auch wenn sie länger dauert. Erst nach vier Jahren haben die aus Island stammenden briefmarkengroßen Jungbutte Marktreife erreicht, sind mit fünf bis sieben Kilo ganz zart.

Stärker noch soll künftig die Dorschzucht steigen, in der nächsten Dekade von derzeit 1200 auf 100000 Jahrestonnen. Ähnlich wie beim Heilbutt ist auch beim Dorsch (alias Kabeljau) die Nachzucht von Jungtieren schwierig. Bisher stammten die meisten Dorschfingerlinge aus Wildfängen, die dann gemästet wurden. Inzwischen gelingt es, beide Fischarten zu vermehren und krankheitsresistente, schnell wachsende Exemplare zu züchten, die gute Futterverwerter sind. Dabei hilft auch der Staat mit Forschungsprojekten.

Doch harmlos ist der Ausbau des Aquafarmings nicht, das lehrt die Geschichte. So hat die Lachszucht in Schottland und Nordamerika dazu beigetragen, Wildpopulationen massiv zu dezimieren, vermutlich durch Krankheiten, Parasiten und Schwärme geflüchteter Zuchtfische. Für Janne Johnsen, Staatssekretärin im Fischereiministerium in Oslo, sind das überwindbare Sünden. „Unser Lachs ist das gesündeste Zuchttier der Welt“, trumpft sie auf. „Und unsere Wildlachsbestände sind in gutem Zustand.“

Nun sollen dank der „blau-grünen Allianz“ die norwegischen Fische noch gesünder ernährt werden: Ihr Futter wird auf pflanzliche Basis umgestellt. Die Pellets, die „pschfrrt“ in die Aquafarmen fliegen, sollen künftig nicht mehr Fischöl und -mehl enthalten, sondern stattdessen Raps- oder Sonnenblumenöl und pflanzliches Eiweiß. Lachs und Forelle, reine Raubtiere, würden dann zu Vegetariern.

Eine 100-prozentige Umstellung des Lachsfutters auf pflanzliche Basis hält der Agrar- und Aquaforscher Wolfgang Koppe allerdings für verfrüht. Ohne die Beifütterung von Vitaminen und Zusatzstoffen würden die Fische noch verstärkt krankheitsanfällig. „Aber ein Ersatz des Fischöls zur Hälfte durch Rapsöl klappt bereits problemlos.

Wie ernst es den Norwegern mit der blau-grünen Allianz ist, zeigen einschlägige Forschungsprojekte. So erzählt Janne Johnsen, dass heimische Chefköche bereits mit Rapsöl gefütterte Lachse zu testen bekamen. „Die Chefs haben keinen Unterschied entdeckt“, freut sie sich. Derzeit wird in einer aufwändigen medizinischen Studie geprüft, ob häufiger Verzehr (teil)vegetarisch gezüchteter Lachse gesundheitliche Folgen für die Konsumenten haben könnte.

Denn gewöhnlicher Lachs gilt dank der Omega-3-Fettsäuren als gesund. Die Fettsäuren, die Herz und Gefäße schützen sollen, kommen reichlich in Fischöl vor. Wie gesund aber ist ein Lachs, der nur Pflanzenöl fraß? „Das prüfen derzeit unsere Mediziner hier am Rikshospitalet in Oslo“, sagt Janne Johnsen. Die Ergebnisse darf sie noch nicht verraten, „die werden erst in einigen Monaten publiziert“.

Die Vegetarisierung des Lachses hätte aber noch eine andere Konsequenz: Dadurch würde auch die Diskussion um die Wal- und Robbenjagd wieder angeheizt. Derzeit stammt das meiste Futter für Aquafarmen aus Wildfängen von marinen Kleinfischen. Um diese begrenzte Ressource konkurriert der Mensch nicht nur mit Raubfischen, sondern auch mit einer stetig steigenden Zahl von Walen und Robben. Würden die Zuchtfische mit pflanzlichem Futter vom Acker ernährt, könnten Tierschützer den Norwegern unter die Nase reiben, sie müssten die Meeressäuger gar nicht mehr als Konkurrenten der Fischer jagen.



(c) DIE ZEIT 01.07.2004 Nr.28
http://www.zeit.de/2004/28/Aquafarming