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Pressespiegel:
Hinrichtungsopfer kann man streicheln

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Hinrichtungsopfer kann man streicheln

Autor: Achim Stößer | Datum:
"Tofu kann man nicht streicheln", "Kühe sind lila", "Fischstäbchen laichen im August" - und ethische Konsequenz ist dem Autor ein Fremdwort.

Tofu kann man nicht streicheln

Autor: Achim Stößer | Datum:
Soeben habe ich - es geschah während des Aufbereitens von Buntwäsche, die ich während meines anstehenden Auslandsaufenthaltes tragen werde - während eines Telefonats mit dem Verantwortlichen der LIVE-Redaktion erfahren, dass ich mich anlässlich eines zu erwartenden Filmstarts zum Thema Ernährung äußern darf, und da musste ich zunächst einmal sehr schlucken. Aber gut, ich geh da jetzt mal einfach ran, also:

Viele Menschen ernähren sich grundsätzlich falsch, und insbesondere Stadtkinder haben keine Ahnung, was sie sich da eigentlich in den Mund stopfen. Kühe sind lila, Fischstäbchen laichen im August, und Rinder sind, wenn sie zur Welt kommen, in zwei Brötchenhälften eingepackt. So siehts doch aus, machen wir uns nichts vor, Kinder futtern kritiklos alles, was sie in der Glotze sehen. Überwiegend sind das Milchschnitten und andere Produkte, denen aus Gründen der Haltbarkeit etwas Schnaps beigemengt ist. Sagen Sie heute mal einem Kind, dass es ein Huhn schlachten soll, da sehen Sie sich mit erschreckender Hilflosigkeit konfrontiert. "Das tut ihm doch weh!", sagen die Kinder und verlangen nach McNuggets, von denen sie denken, dass sie im Unter-Tage-Abbau gewonnen werden.

"Wer Fleisch essen will, muss auch töten können", pflegte mein Vater zu sagen, wenn er am Wochenende einem jungen Mastschwein prüfend in die Flanke kniff oder ein Huhn nachdenklich in der Hand wog, bevor er es mir zur Hinrichtung übergab. "Können wir nicht einfach Vegetarier werden?", habe ich ihn oft gefragt, wenn die Gnadengesuche der Tiere überhand nahmen, aber dann lächelte der Vater sehr nachsichtig und sagte: "Nein. Tofu kann man nicht so gut streicheln."

Gerade frage ich mich, ob ich wohl heute noch ein Huhn töten könnte. Ich bin mir da nicht sicher. Technisch würde es bestimmt klappen: Man nimmt die Beine und die Flügelspitzen in die eine, das Beil in die andere Hand, schlägt den Kopf des Tieres zunächst gegen den Richtblock und trennt dann das Haupt - möglichst mit einem einzigen Hieb - ab. Dann gibt man das Huhn einer Frau, die es rupft, reinigt und lecker zubereitet.

Vielleicht töte ich heute genau deshalb keine Hühner mehr: Weil ich keine Frau kenne, die es rupft, reinigt und lecker zubereitet. Manchmal fahre ich zu meiner Mutter, die diese Kunst noch beherrscht, aber irgendwie ist das alles nicht mehr so wie früher, meine Stimmung beim Verzehr des Geflügels ist eher frostig, was wohl daran liegt, dass es in der Kühltruhe gehalten wurde. BERND MÖHLMANN

erschienen am 15. Juli 2004 in Hamburg Live

http://www.abendblatt.de/daten/2004/07/15/318086.html

Der eiserne Ring

Autor: Achim Stößer | Datum:
Oft war eine Kuh angebunden an den eisernen Ring. Wir überlegten uns, ob das arme Tier wusste, was ihm bevorstand. Der Schulweg führte da vorbei, beim Metzger auf dem Wittenbacher Dorfhügel. Nach der Schule war am Boden vielleicht noch ein Kuhfladen zu sehen, das Tier aber war weg.

Stand die Tür zum Schlachthaus offen, schauten wir mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu hinein - fasziniert und doch voller Mitleid fürs Tier, dem die letzte Stunde geschlagen hatte. Und manchmal konnten wir sehen, wie «Tot-machen» beim Metzger Trunz vor sich ging: Pistole an den Schädel. Päng. Blut. Mussten wir im Laden der «Hirschenmetzg» für die Mutter etwas einkaufen, gabs von Frau Trunz ein Wursträdli. Vergessen war die arme Kuh. - Das war vor Jahrzehnten. Nein, wir waren keine Vegetarier. So war das Leben.

Abgeschirmt
Heute gibts in Wittenbach keine Metzgerei mehr - weder auf dem Ulrichsberg noch in Kronbühl bei «Stocker». Dort, wo jener gemetzget hatte, ist heute ein Velogeschäft. Fleisch gibts seither im Migrosmarkt Ödenhof - oder beim Biobauern aus der Tiefkühltruhe. Das Töten und Verarbeiten der Tiere geht abgeschirmt im St. Galler Schlachthof über die Bühne. Kein Kind sieht noch, wie Schweine, Rinder, Schafe zerlegt werden. Kein Kind sieht Blut, sieht, wie das Fleisch vom Knochen getrennt und verarbeitet wird. Erst im Laden sieht es die Teile - fein säuberlich angeordnet in der Vitrine.

«Wieso ässesch Du Fleisch?»
Und trotzdem sind immer mehr Kinder überzeugte Vegetarier. «Papi, wieso ässesch Du eigentlich Fleisch?», heisst es dann. - Vieles hat sich gewandelt. Geblieben ist auf dem Wittenbacher Dorfhügel die Schlachthaus-Scheune. Kaum jemand weiss noch, wozu der Eisenring beim Eingang diente.

Viel und schnell
Dem Zeichner Urs Hochuli ist die alte «Hirschenscheune» nicht entgangen, als er begann, «Verstecktes, Vernachlässigtes und Gefährdetes» festzuhalten. Wo so viel und so schnell überbaut wird wie in der Gemeinde Wittenbach, da scheint Geschichte ebenso schnell vergessen zu gehen. An Orten wie hier lebt sie weiter. Gut, gibt es diese Orte. Gerold Huber

http://www.tagblatt.ch/stgallengossau.cfm?pass_id=932418&liste=932411,932417,932420,932414,932424,932415,932421,932418,932412,932419,932423,932422,932413