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Pressespiegel:
Fischmörder leugnen Mordmotiv

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Fischmörder leugnen Mordmotiv

Autor: Achim Stößer | Datum:
Drei Millionen Menschen bringen in Deutschland aus "Spaß" selbst Fische um - zehnmal so viele, wie Vögel und Säugetiere erschießen.

"Tiefenpsychologen argwöhnen übrigens Mordlust als unbewusstes Motiv für die Fischzüge", diese auf der Hand liegende Erklärung weist ein "Wissenschaftler", der "die erste repräsentative Studie zur Hobbyfischerei in Deutschland vorgelegt hat" (und das nennt sich dann allen ernstes Dissertation), zurück - wobei die Tatsache, daß er selbst Täter ist, ein Hinweis auf das Motiv sein könnte, weshalb er das Offensichtliche leugnet.

Ein Fisch namens Zander

Autor: Achim Stößer | Datum:
Petri Heil: Ein Berliner Wissenschaftler ergründet die Psyche deutscher Angler - und stößt auf archaische Untiefen
von Hendrik Werner

Ein Schlag ins Wasser, dieser Annäherungsversuch. Dabei schien es, als hätte man diese Männer problemlos am Haken. Hatten doch anfangs ganz zutraulich geguckt, die beiden trotz sommerabendlicher Wärme in Parkas gehüllten Mittfünfziger, die unweit des Berliner Doms in Mitte ihre Angelschnüre zu Spreewasser gelassen hatten. War wohl falsch, sie mit der notorischen Frage "Beißen sie?" ködern zu wollen. Nun taten sie verständlicherweise das, was ihresgleichen ohnehin nachgesagt wird: schweigen. Als wollten sie sich der Stummheit der Objekte ihrer Begierde anverwandeln.


Ungleich redseliger mutet zweieinhalb Steinwürfe entfernt ein anderer Fisch-Experte an. "Das Alter von Karpfen lässt sich erst nach deren Tod anhand von Jahresringen bestimmen", doziert ein junger Mann, dessen Namensschild ihn als Carsten ausweist, vor einem zum Mini-Wannsee stilisierten Bassin im Sea Life Centre. Später wird er im Aquadom-Fahrstuhl, unbeirrt von den verzückten "Süß!"-Seufzern der Water-World-Touristen, die Herkunft von Namen wie Doktor- und Napoleonfisch erläutern.


Berlin scheint vollends auf den Fisch gekommen. Und das lange vor den Clownerien in "Findet Nemo!". Das Faible der Berliner für See- und Flussbewohner liegt nahe, um nicht zu sagen: vor der Haustür. Gebietet die Hauptstadt doch über stattliche 203 Kilometer an Wasserstraßen, die zwischen Wann- und Müggelsee, Spree und Havel nicht nur mit den üblichen Verdächtigen wie Plötzen, Karpfen und Güstern aufwarten, sondern auch mit Edelfischarten à la Aal und Zander. Etwa 25 000 Hobbyfischer bevölkern die Stadt, knapp 11 000 davon sind im Angelverband Berlin organisiert.


Eingedenk dieser Zahlen scheint es kaum verwunderlich, dass es ein Berliner ist, der die erste repräsentative Studie zur Hobbyfischerei in Deutschland vorgelegt hat. Robert Arlinghaus vom am Müggelsee ansässigen Leibniz-Institut für Gewässerökologie hat in seiner Dissertation ergründet, warum sich Männer zu nachtschlafender Zeit in Gummistiefeln und mit Angelrute aus dem Haus stehlen, um sich stundenlang auf die oft vergebliche Pirsch nach Tieren zu machen, die sie ungleich verlässlicher in fast jedem Supermarkt kaufen könnten. "Die Angelleidenschaft ist evolutionär angelegt", glaubt der 28-jährige Sohn eines Deutschen eines Deutschen und einer Spanierin, der als Kind an den Küsten der iberischen Halbinsel auf den Geschmack gekommen ist. "In Urzeiten war der Fischfang überlebenswichtig. Dieser Jagdinstinkt hat sich fortgeerbt. Und ist als Ausdruck einer Versorgermentalität weitgehend eine Männerdomäne geblieben. Was man schon daran sieht, dass wohl kein Angler seine Tochter jemals mit auf Beutezug nehmen würde." Angeln ist mithin weit mehr als ein Volkssport. Es ist eine Überlebenshaltung, deren Kulturgeschichte in die Zeit der Jäger und Sammler zurückreicht.


Zudem befriedigen die Fischzüge menschliche Erfolgssucht, weiß Arlinghaus aus eigener Anschauung. Im idyllisch an der Spree gelegenen Alt-Stralau, wo er wohnt, sucht der Wissenschaftler regelmäßig selbst den Kick. Ein 30-pfündiger Karpfen war sein größter Triumph, wenngleich sein Kampf mit ihm nicht ganz so heroisch ausgefallen sei wie jener von Hemingway in "Der alte Mann und das Meer" beschriebene. Überhaupt sei das Anglerlatein, diese beredte Stilisierung des eigentlichen Fangvorgangs (der so genannte Drill), zu einem Kampf auf Leben und Tod, ein weiterer Beleg dafür, wie archaisch verhaftet der fischende Mann zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch ist. Eine erregende biologische Komponente komme hinzu: Vor allem der Moment des Anbisses sei es, der für einen enormen Adrenalinschub sorge, sagt Arlinghaus, dessen Erhebung ergeben hat, dass es bundesweit mehr als drei Millionen auf Adrenalinschübe abonnierte Freizeitfischer gibt (doppelt so viel wie bislang vermutet) - zehn Mal mehr als dem Wild verfallene Jäger. Tiefenpsychologen argwöhnen übrigens Mordlust als unbewusstes Motiv für die Fischzüge; diese effekthascherische Ansicht teilt Robert Arlinghaus allerdings nicht.

Einen Fisch namens Zander zählt der Forscher zu den begehrtesten und zugleich am schwersten aufzuspürenden Berliner Wasserbewohnern. Sein Fang gilt unter Hobbyanglern als eine der größten Trophäen. In pragmatischer Hinsicht wohlgemerkt. Denn die Berliner sind Arlinghaus zufolge überwiegend "Pottys". Vertreter dieser Spezies sind, anders als die auf hochspezialisierte Köder, spezifische Techniken und entlegene Reviere abonnierten "Boilys" weitestgehend nutzwertorientiert: Ihnen liegt allererst daran, etwas in den, nun ja, Pott zu bekommen. Und sei es - vergleiche die Mär vom "Fischer un sin Fru" -, um der eigenen Gemahlin zu imponieren; ein archaischer Reflex, auch dies. Dieser mehr auf Verwertbarkeit denn Kontemplation zielenden Haltung, die Berliner Angler vor Bewohnern anderer Bundesländer auszeichnet, arbeitet Arlinghaus zufolge der ökologisch löbliche Umstand zu, dass in Berlin einige Fischarten wie beispielsweise Brassen und Barsche nicht wieder ins Wasser zurückgesetzt werden dürfen.


Was die Sozialstruktur der Berliner Angler anbelangt, konstatiert Arlinghaus im Bundesvergleich eine niedrigere Schulbildung, dafür aber ein größeres Engagement jugendlicher Fischjäger und -sammler. Zudem seien hiesige Rutenfreunde fanatischer, was ihr Steckenpferd anbelangt, und technisch oft weitaus avancierter als Freizeitfischer anderenorts. Auf Grund der vielen Gewässer im Stadtgebiet seien zwar vergleichsweise wenige Petrijünger Mitglieder in Angelvereinen. Das indes spricht Arlinghaus zufolge keineswegs für soziale Enthaltsamkeit: "Die Schweigsamkeit von Anglern ist ein Mythos. Es sind meist gesellige Menschen, die sich nur dann zurückziehen, wenn man ihnen mit dummen Fragen kommt."


Womit auch wissenschaftlich bestätigt wäre, dass "Beißen sie?" eine gänzlich unangemessene Frage ist, um mit Menschen in Kontakt zu treten, die ein ebenso traditionsreiches wie überlebenswichtiges Erbgut in sich tragen.

Die Welt
Artikel erschienen am Di, 10. August 2004
http://www.welt.de/data/2004/08/10/316931.html