Heute schon Schwein gehabt? Es darf wieder normal gegessen werden. Die Zeiten der Vegetarier sind vorbei, meint Silke Wichert
von Silke Wichert
Ob Schwein, Geflügel oder wie hier Rind – Fleisch ist wieder gefragt
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Hat es jemand gemerkt? Am 1. Oktober war Weltvegetariertag. Der Tag, an dem die "Veggies" ihre fleischfressenden Mitbürger alljährlich zum Gemüsebratling bekehren möchten. Vermutlich wird es deshalb in dem einen oder anderen Haushalt am vorvergangenen Freitag tatsächlich politisch korrekte Pflanzenkost gegeben haben. Die meisten von uns werden jedoch kaum einen Gedanken daran verschwendet und gegessen haben wie immer. Einen Teller Pasta. Königsberger Klopse. Vielleicht gab es sogar ein saftiges Steak. Warum auch nicht?
"Die Leute haben wieder Lust auf Fleisch", sagt Karl Otto Honikel von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel. Man esse nach wie vor bewußt. Aber eben auch bewußt Fleisch. Gutes Fleisch.
Lothar Eiermann, Sterne-Koch und Mitautor des Buches "Starke Stücke" (Swiridoff Verlag), serviert seinen Gästen im Hotel "Friedrichsruhe" das Fleisch am liebsten im großen Stück, tranchiert wird am Tisch. "Diese Gerichte laufen wie verrückt. So wie eine Zeitlang jeder Fisch essen wollte, ist jetzt Fleisch die neue Mode. Selbst Innereien wie Nieren und Kalbsbries sind wieder gefragt."
Auch Dieter Eckel, Inhaber der Kochbuch-Handlung "Buchgourmet" in Köln, registriert, "daß in letzter Zeit häufig nach fleischlastigen Titeln" gefragt wird. Bislang sei die Auswahl auf dem deutschen Markt jedoch gering gewesen. Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheint nun eine Reihe neuer Bücher: "Das Buch vom guten Fleisch" (Zabert Sandmann Verlag) von Karl Ludwig Schweisfurth (s. Interview), "Mein Kochbuch" (Zabert Sandmann) von Frankreichs Schauspiel-Ikone Gérard Depardieu, der als bekennender Fleischliebhaber viel Deftiges auftischt und "Fleisch" (Feierabend Verlag), von Patrik Jaros, der das "Via Bene" in Köln führt.
Tatsächlich ist der Fleischverbrauch in Deutschland im letzten Jahr wieder leicht gestiegen. Der Pro-Kopf-Verzehr von Schweinefleisch, der eigentlich stetig sinkt, nahm um rund ein Kilo auf 55,9 Kilo zu. Der Konsum von Geflügel wächst ohnehin kontinuierlich, selbst beim Rindfleisch hat sich der Markt erholt. Insgesamt verdrückt jeder von uns durchschnittlich 61,5 Kilo Fleisch im Jahr.
Das heißt nicht, daß plötzlich nur noch Berge von Eisbein und halben Hähnchen gegessen würden. Fleisch in rauhen Mengen, so viel dürfte bekannt sein, ist ungesund. Dafür ist die Vielfalt des Lebensmittelangebots mittlerweile auch zu groß. Daß die Fleischmenge wieder steigt, liegt natürlich auch daran, daß BSE, Schweinepest und Vogelgrippe allmählich aus dem Bewußtsein verschwinden. Die Zahlen zeigten aber grundsätzlich eine "Rückkehr zur Normalität", sagt Volker Pudel, Ernährungspsychologe von der Universität Göttingen. Und das habe nicht nur mit überwundenen Lebensmittelkrisen zu tun. "Wir essen einfach wieder, worauf wir Lust haben. Das schlechte Gewissen ist allmählich verdaut."
Die Zeiten, in denen man in der Kantine geradezu als Schlächter geächtet wurde, wenn man mit einem Stück Fleisch an der Salattheke vorbeilief, scheinen tatsächlich passé. In Restaurants ist die Rubrik "Für unsere vegetarischen Gäste" entweder ganz von der Speisenkarte verschwunden oder weit nach hinten gerutscht. Jetzt steht sie noch hinter "Für unsere kleinen Gäste". Die Vegetarier sind vielleicht nicht vom Aussterben bedroht. Aber sie entwickeln sich doch immer mehr zur Randgruppe. Da kann der Vegetarierbund (Sitz in Hannover: Blumenstraße, wo sonst) noch so lange darauf hoffen, daß bald jeder dritte Vegetarier sein wird. Das penetrante Bekenntnis zur Pflanze wirkt überholt, unzeitgemäß, oft sogar reichlich deplaziert.
Als anfangs nur die Schinkenstückchen aus dem Partysalat gepult wurden, hatte diese Form der akribischen Tierliebe fast etwas Rührendes. Sogar pflanzlicher Brotaufstrich war eine Zeitlang gesellschaftlich akzeptiert. Sich durch sein Anders-Essen abzuheben galt als noch unverbrauchtes Statement. Eine Art modisches Accessoire, das gern und häufig vor, während und nach dem Essen präsentiert wurde.
Schlimm wurde es allerdings, als Mamis ihren Kindern verboten, die gerollte Fleischwurstscheibe an der Metzgertheke anzunehmen. Ein Ritual, das zu den prägendsten Geschmackserlebnissen der Kindheit zählt. Das ging zu weit. Ebenso der peinliche Auftritt der amerikanischen Tierschutzorganisation Peta, die mit Plakaten, auf denen die moderne Massentierhaltung mit Auschwitz verglichen wurde, für eine Welt ohne Fleischverzehr warb. Spätestens da sagten sich viele Gelegenheits-Vegetarier: jetzt erst recht! Und bestellten ihrerseits provokativ "einmal totes Tier, bitte!"
"Zu Zeiten des New-Economy-Booms Mitte der neunziger Jahre war es schick, sich nur mit sich und seiner inneren "Om-Stimmung" zu befassen", sagt der Soziologe Peter Wippermann vom Hamburger Trendbüro. Allein der Absatz von grünem Tee habe sich damals verdreißigfacht, man habe auf betont gesundes und leichtes Essen wert gelegt. Gern auch esoterisch. Heute, in wirtschaftlich schlechteren Zeiten, sei eine totale Abkehr von der "Om-Gesellschaft", wie er sie nennt, zu erkennen. "Wir haben wieder reale Probleme. Deshalb besinnen wir uns auch wieder auf Leistung." Und was man esse, wenn es um Leistung geht, sei ja wohl klar. Ein gutes Stück Fleisch liefert eine Vielzahl wertvoller Vitamine und Proteine. Das Eiweiß wird fast restlos in körpereigenes Eiweiß umgewandelt, das Immunsystem wird gestärkt und - der Testosteronspiegel steigt. Das erklärt nicht zuletzt, warum das Fleisch seit jeher männlich konnotiert ist und ein Tofuwürstchen-nagender Mann aus der Art geschlagen scheint. Unter Frauen gilt daher: "Kein Fleisch, kein Sex."
Auch ernährungspsychologisch betrachtet ist das Fleisch "wertvoll". "Niemand sagt: Ich hatte einen tollen Rotkohl!" erklärt Volker Pudel. "Wenn es etwas besonders Gutes sein soll, man sich etwas gönnen möchte, muß schon ordentliches Fleisch auf den Teller." Sein Status in der Menüfolge ist unbestritten, es gilt immer noch als die Hauptspeise. Deshalb ist man auch nirgends sonst bereit, so viel Geld zu investieren - vorausgesetzt, Qualität und Herkunft stimmen. Die anschließende Zubereitung gilt bei Köchen als Königsdisziplin. Und wer wichtige Gäste zu sich nach Hause einlädt, käme nie auf die Idee, ihnen nur Grünzeug vorzusetzen.
Wer vor allem dem Fleisch der Linie wegen entsagte, hörte spätestens in diesem Frühjahr damit auf, als erst in den USA und dann auch hier die alte Atkins-Diät ihr Revival erlebte und dann auch noch die Southbeach-Diät folgte. Umstrittene, aber zumindest kurzfristig erfolgreiche Varianten mit wenig Kohlenhydraten, bei der die Wurst am liebsten gleich ohne Brot gegessen wird - und man trotzdem abnimmt. Prominente wie Jennifer Aniston, Drew Barrymore und Adrian Brody gestanden, daß sie nach temporärem Vegetariertum wieder zu Fleischfressern geworden seien. Und plötzlich gilt Fleisch zu essen nicht mehr als Makel. Sich dazu zu bekennen, ist, im Gegenteil, sogar irgendwie originell. Gerade Frauen, die von der Statur her eigentlich an der Salatbar anzusiedeln sind, wirken an einem Stück Kasseler nagend herrlich unprätentiös, auf natürliche Weise sexy. Um sich trotzdem noch öffentlich als Vegetarier zu bekennen, muß man entweder McCartney heißen oder bei Peta unter Vertrag stehen.
Gerade in Deutschland werde der Trend zum Fleisch noch durch die "Renaissance des Lokalen" verstärkt, erklärt Peter Wippermann. "Was mit Städte-T-Shirts und einem Faible für alte Strickmode anfing, geht bei der traditionellen deutschen Küche weiter." Das Heimische ist das neue Exotische. Auf den Speisenkarten angesagter Restaurants findet sich plötzlich Hausmannskost wie Sauerbraten. Werden Freunde eingeladen, bleiben die Kochbücher im Schrank. Statt dessen müssen Mütter ihre Rouladen- und Tafelspitzrezepte rausrücken.
Auch ästhetisch ist das Fleisch zurück. Auf einem seiner Selbstporträts demonstriert Jürgen Teller, wie er seine Familie ernährt. Es gibt: "Zwei Schäuferle mit Kloß und eine Kinderportion Schnitzel mit Pommes frites." Zeitlose Klassiker. Klagen kommen zu Hause keine.
Artikel erschienen am 10. Oktober 2004
http://www.wams.de/data/2004/10/10/343043.html?s=3