REICHENBACH: Rüdiger Nehberg im H2O - Abenteurer und Kämpfer für bedrohte Völker und gegen Verstümmelung
Von Michael Paproth
Rüdiger Nehberg, einst Vorstadt-Bäcker in Hamburg, dann Abenteurer und schließlich Kämpfer für die Rechte bedrohter Völker: Ein Mann, der bereits in den frühen Jahren seines Abenteurerdaseins meint, auf Schusters Rappen und ohne Essen von Hamburg nach Oberstdorf wandern zu müssen, wodurch er jeden Tag ein Pfund seines Körpergewichtes verliert. 25 Kilo sind es insgesamt. Er sei "geschrumpft wie eine Mumie", sagt der 1935 geborene Überlebenskünstler - und etwas mehr als 200 Zuhörerinnen und Zuhörer im H20 in Reichenbach lauschen gebannt seinen Erzählungen. Sie werden nicht enttäuscht. Launig und humorvoll kommt Rüdiger Nehberg daher und hat viele Kalauer parat während seinen gut 90-minütigen Diavortrags am Dienstagabend. Selbstbewusst, professionell und ohne Pathos führt der selbst ernannte "Abenteurer mit Sinn" durch sein Programm.
Leckere Würmchen suchen
Waffen machen müsse man können (aus zersplittertem Stein) und anerzogenen Ekel überwinden. Nehberg spricht von leckeren Würmchen und von Luzifer: "In der Not frisst der Teufel Fliegen - und ich auch." Aber Achtung, wenn Ratten auf dem Speiseplan stehen. Dann muss fein differenziert werden. Jahrelang hat Nehberg Überlebenstraining angeboten, vor 15 Jahren hörte er auf damit. Und einst ist er den blauen Nil hinabgefahren mit zwei Freuden. Einer wurde während eines Überfalls erschossen. Nehberg hatte Glück - und eine Knarre unterm Hemd. Sie erwiderten das Feuer, überraschten so die Angreifer und konnten fliehen.
Was treibt einen Mann dazu, sich derartigen Risiken auszusetzen? Die Antwort darauf, bleibt Nehberg dem Publikum in Reichenbach schuldig. Vielleicht lautet sie so: "Ich empfinde mein Reisen als Suche nach großer Erfüllung und Glück. Vor allem seit ich die Art zu reisen verändert habe. Früher war das eher Selbstbefriedigung. Heute verkoppele ich das Reisen mit Sinnvollem", sagt Nehberg in einem Interview mit dem "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt".
Womit wir beim anderen Rüdiger Nehberg angekommen wären. Bei dem, der zwar immer wieder raus muss auf Meere, in Wüsten und in Dschungel, der aber auch als "Aktivist für Menschenrechte" weltweit politisch für Furore sorgt. Da wird der Abenteurer zum Ankläger und Anwalt in einer Person: Wenn er Dias zeigt von afrikanischen Frauen mit riesigen Tellerlippen. Verunstaltet, damit sie nicht mehr schön sind. Von toten Yanomami-Indianern im brasilianischen Urwald und von den toten Goldsuchern, die den Yanomami das Unheil brachten. Aus Elendsvierteln gekommen sind sie Opfer und Täter zugleich. "Affengrillen" nannten es die Goldsucher, wenn sie Indianerhäuser anzündeten, weil sich jemand gegen Vergewaltigungen zur Wehr setzte. Nehberg klagte an - und gewann nach und nach mächtige Verbündete: Greenpeace, AI, WWF, Weltbank und UNO blickten auf den Landstrich nahe der Grenze zu Venezuela, wo 20 000 Yanomami lebten. Seit 1997 herrscht dort ein "akzeptabler Frieden". Weil die Weltbank Druck machte.
Spürbare Betroffenheit
Im H20 liegt Betroffenheit in der Luft. Wie viel kann ein Mensch aufnehmen an Leid und Elend? Nehberg, ruhig und sachlich, streut sein Lebensmotto ein: "Lerne klagen, ohne zu leiden." Ein Motto, das auf Deutschland zutreffe, sagt er. Beifall und Gelächter. Aber bald wird es wieder bitter ernst. Nehberg macht mobil gegen die Verstümmelung äthiopischer Mädchen, denen im "Haus der Schreie" mit Rasierklingen die Klitoris abgeschnitten wird. Das sei noch die mildeste Form der Verstümmelung. Nicht jeder im Saal kann Worte und Bilder ertragen. Einer kippt um. "Die Füße hoch legen", rät Nehberg. Dann spricht er ruhig weiter.
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