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Bei schlechtem Karma warten 16 Höllen

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Bei schlechtem Karma warten 16 Höllen

Autor: martin | Datum:
Der Dalai Lama wird wie kein anderer religiöser Führer durch die Medienlandschaft gereicht und mit ihm der ach so friedfertige und tolerante und Buddhismus. Lohnenswert ist es daher, beide Erscheinungen zusammen ins rechte Licht zu rücken.
Zitat: Ein Gottkönig hat Geburtstag

DHARMSHALA. (hpd) Er kichert im Gespräch plötzlich los, er hasst alles Weibliche (ausgenommen die „weibliche Energie“, die zur Erlangung der Buddhaschaft auszubeuten ist), er hat das Teufelsaustreiben gelernt, er weiß, dass er mit hundertdreizehn Jahren sterben wird. Er kann einem leid tun: ein reinkarniertes Leben nach dem andern, Tausende insgesamt, gefangen in einer surrealen Wahnwelt.

Von Colin Goldner

Das Jahr 2010, laut tibetischem Kalender das des Eisentigers, steht unter überaus glücksverheißenden Vorzeichen: am 6. Juli feiert “Seine Heiligkeit” der 14. Dalai Lama, Herrscher über das Land des Schnees und Bewahrer des rechten Glaubens, seinen 75. Geburtstag. Buddhistischer Berechnung zufolge vollendet er freilich schon sein 619. Lebensjahr, gilt er doch als Wiedergeburt seiner dreizehn Amtsvorgänger, als deren erster er Anfang des 15. Jahrhunderts in das Amt des Großabtes der von seinem Onkel begründeten Sekte der Gelbmützen bestellt worden war, der er bis heute in ungebrochener Reinkarnationsfolge vorsteht. Er selbst spricht von „tausenden und abertausenden aufeinanderfolgender Lebenszyklen“, die er bereits durchlaufen habe, letztlich sei er niemand anderer als die leibhaftige Verkörperung der höchsten Gottheit auf dem Dache der Welt, des elf-, gelegentlich auch sechzehnköpfigen und tausendarmigen Chenrezig, der in grauer Vorzeit das Volk der Tibeter gezeugt habe. Zwei Warzen - „two small bumps of flesh“ - unterhalb seiner Schulterblätter, wie er immer wieder betont, stellten unzweifelhaft eine Art rudimentärer Überbleibsel dessen zusätzlicher neunhundertachtundneunzig Arme dar. Zudem verfüge er über Ohren von einer Größe, wie nur göttliche Wesen sie trügen.

Nein, der ältere Herr in der roten Kutte versteht sich keineswegs als Komiker, gleichwohl seine enorme Popularität nicht zuletzt derlei Absurditäten zuzuschreiben ist; samt den Hanswurstiaden, die er fortlaufend veranstaltet: wenn er bei seinen Vorträgen unmotiviert loskichert oder auf seinem Thron hin- und herschaukelt, dass es aussieht, als werde er jeden Augenblick hinunterfallen, gerät sein Publikum regelmäßig in Verzückung. Er selbst, Jetsun Jamphel Ngawang Lobsang Yeshi Tenzin Gyatso Sisum Wangyur Tsungpa Mepai Dhe Palsangpo, hält sich vollen Ernstes für all das, was sein Endlosname bedeutet: für den Heiligsten, Barmherzigsten, Ruhmreichsten, Sanftesten, Mitleidvollsten, Sprachgewaltigsten und so fort aller, den Dalai Lama eben, Ozean des Weistums und Gottkönig Tibets.

Der Heiligste, Barmherzigste, Ruhmreichste, Sanfteste, Mitleidvollste...

Schon bei seiner Geburt, wie seine Mutter später, als er längst inthronisiert war, zu berichten wusste, habe es jede Menge Vorzeichen gegeben, dass da ein bedeutender Lama sich reinkarniere. So seien ihr in der Nacht vor der Niederkunft im Traume zwei blaue Drachen erschienen und kurze Zeit danach sei der Vater des Neugeborenen urplötzlich von einer Krankheit genesen, an der er seit längerem gelitten hatte. Gleichwohl wurde der kleine Junge von seinem Vater, einem weithin bekannten Pferdezüchter, keineswegs als „lebender Buddha“ behandelt, vielmehr wurde er häufig von diesem geschlagen.

Der Geburtsort des späteren Dalai Lama, ein ansonsten völlig unbedeutendes Dorf namens Takster, liegt weit im Nordosten Tibets. Es gehörte seinerzeit zur Provinz Amdo, die im Norden an die Mongolei und im Osten an China angrenzte; große Teile Amdos, einschließlich des Gebietes um Takster, standen seit 1928 unter der Administration der nationalchinesischen Kuomintang-Regierung. Genaugenommen ist der Dalai Lama also kein gebürtiger Tibeter, sondern Nationalchinese. Auch sein Rufname war ein chinesischer: Tschi.

Seine Mutter hatte bereits acht Kinder zur Welt gebracht, von denen aber nur noch vier am Leben waren. Er war insofern das fünfte Kind der Familie. Insgesamt gebar seine Mutter sechzehn Kinder, es wurden allerdings nur sieben davon groß. Die älteste Schwester - er hatte letztlich zwei Schwestern und vier Brüder - war 18 Jahre älter als er. Zu seinen drei älteren Brüdern hatte er praktisch keinen Kontakt, der älteste war Jahre zuvor schon als Wiedergeburt eines verstorbenen hohen Lamas und zugleich Wiedergeburt seines eigenen Onkels, der ebendieser Lama gewesen war, entdeckt worden und lebte in dem nahegelegenen Kloster Kumbum, in dem ein anderer, noch lebender Onkel eine hohe Stellung als Verwalter und Steuereintreiber innehatte. Der zweitälteste Bruder besuchte eine chinesische Schule in einem Nachbardorf, nur sein um drei Jahre älterer Bruder Lobsang Samten lebte noch in der Familie. Allerdings verließ auch dieser Bruder nach kurzer Zeit das Elternhaus: er wurde als Mönchsnovize ins Kloster Kumbum geschickt, das über feudalen Großgrundbesitz samt daraus abgeleiteter nahezu unumschränkter Macht über die Menschen der Region verfügte.

Im Winter 1937/38, Tschi war gerade einmal zweieinhalb Jahre alt, kam ein von der tibetischen Regierung in Lhasa ausgesandter Suchtrupp zum Kloster Kumbum, auf der Suche nach der Reinkarnation des vier Jahre zuvor verstorbenen 13. Dalai Lama. Eine ganze Reihe okkulter Anzeichen hatte den Trupp nach Amdo geführt: der Umstand vor allem, dass der Kopf der einbalsamierten und auf einen Thron gesetzten Leiche des Verstorbenen zur Seite gekippt war, so dass sein Gesicht nach Nordosten zeigte; es war dies als unzweifelhafter Hinweis gedeutet worden, dass in eben dieser Richtung seine Wiedergeburt aufzufinden sei. Tatsächlich wurde man im Umfeld des Klosters fündig: just im nahe gelegenen Elternhaus zweier Kumbum-Mönche, die just einen kleinen Bruder dort wohnen hatten. Das Alter dieses kleinen Bruders entsprach auch noch genau dem des gesuchten Kindes.

Der kleine Tschi wird sofort als Reinkarnation erkannt

Der Suchtrupp habe sich im Hause der Eltern nicht zu erkennen gegeben, gleichwohl sei der Anführer von dem kleinen Tschi sofort erkannt und mit richtigem Namen angesprochen worden. Zudem habe der Junge mitgebrachte Gegenstände aus dem Besitz des 13. Dalai Lama allesamt richtig identifizieren können. Kurze Zeit später wurde Klein-Tschi in Kumbum feierlich für sein künftiges Amt designiert. Er lebte hinfort im Kloster, wo er auch seine ersten Worte tibetisch lernte; zuhause hatte man einen chinesischen Regionaldialekt gesprochen. Seine Eltern sah er vorderhand nicht mehr.

Im Sommer 1939 wurde Tschi in die tibetische Hauptstadt Lhasa überstellt. Die Karawane mit über 1000 Personen und mehr als 10.000 Last- und Reittieren war drei Monate lang unterwegs. Am 22. Februar 1940 wurde der mittlerweile Viereinhalbjährige offiziell als geistliches Oberhaupt Tibets eingesetzt: er bestieg als 14. Dalai Lama den sogenannten Löwenthron.

Unterrichtet wurde er zunächst gemeinsam mit seinem Bruder Lobsang Samten, in endlosen Wiederholungen mussten die beiden komplexe Ritualtexte auswendig lernen. Außer zu dem drei Jahre älteren Lobsang hatte er keinerlei Kontakt zu anderen Kindern. Bald aber verlor er auch diesen Kontakt: Auslöser war ein Streit gewesen, bei dem er seinen Bruder in einem Anfall von Jähzorn mit einem Elfenbeinstock niedergeschlagen und dabei schwer verletzt hatte. Die Kinder wurden voneinander getrennt.

Überhaupt hätte das Leben, das dem jungen Gottkönig aufgenötigt wurde, isolierter und widernatürlicher nicht sein können: Angehörige des weiblichen Geschlechtes kamen in seinem Umfeld überhaupt nicht mehr vor, die einzigen Frauen, die er gelegentlich zu Gesicht bekam, waren seine Mutter und seine achtzehn Jahre ältere Schwester, die ihn ab und an besuchen durften; private oder persönliche Gespräche indes waren bei diesen streng protokollierten Begegnungen unmöglich. Selbst die Tiere in seinem Palastgarten – es gab mehrere Bulldoggen, ein paar Kamele, zwei Leoparden, einen Tiger und einen Affen – mussten männlichen Geschlechtes sein, weibliche hätten den so genannten „Juwelengarten“ energetisch verunreinigt.

Eine wirkliche Kindheit und Jugend hatte er nicht

Seinen Vater sah er praktisch nie mehr, obgleich dieser, aufgestiegen in den höchsten Adelsrang mit entsprechendem Großgrundbesitz, ebenfalls in Lhasa residierte. Der junge Dalai Lama war bis in sein Erwachsenenalter hinein ausschließlich von sehr viel älteren persönlichen Bediensteten und alten bis uralten Mönchslehrern umgeben. Eine wirkliche Kindheit und Jugend hatte er nicht, vielmehr wurde er, hermetisch abgeschottet gegen jeden äußeren Einfluss, zu einem völlig selbst- und weltentfremdeten Autisten hinerzogen, darauf gedrillt, fehlerfrei buddhistische Lehrtexte aus dem 11. oder 12. Jahrhundert zu rezitieren und ansonsten den obskuren Ritualhandlungen seiner Lehrmeister beizuwohnen. Niemals hatte er auch nur den Hauch einer Chance auf irgendeinen vernünftigen Gedanken oder irgendeine freie Entscheidung. Psychisch - und in Teilen auch kognitiv-intellektuell - dürfte er insofern auf dem Stand eines Vierjährigen stehen geblieben sein.

Hinzu kam die extreme Frauenfeindlichkeit des tibetischen Buddhismus, der er - wie andere Mönchsnovizen auch – in der äußerst repressiven, von verknöcherten alten Männern beherrschten Klosterwelt des alten Tibet ausgesetzt war. Einer der meistzitierten Lehrtexte, mit denen er konfrontiert war, stammt von dem indischen Mystiker Milarepa (1040-1123 u. Z.), demzufolge "die Frau immer eine Unruhestifterin (ist), die primäre Ursache des Leidens, im besten Fall kann sie anderen dienen, im schlimmsten Fall bringt sie Mißgeschick und Unglück." Sie sei, karmisch bedingt, ein prinzipiell übles und minderwertiges Wesen, aufgrund ihrer "Neigung zu schlechten Gewohnheiten, die in der Vergangenheit entstanden ist, in der niederen Form einer Frau geboren." Ihre Gebärmutter - gemeint ist vermutlich die Vagina - sei „äußerst unrein und übelriechend. Denn diese ist mit Eiter, Blut, Getier und anderem völlig angefüllt. Diese sehr beengende dunkle Höhlung ist ein Sammelpunkt größter Schrecken.

Alles spezifisch Weibliche ist verdächtig

Alles spezifisch Weibliche war dem Buddhismus von Anbeginn verdächtig - Menstruation, weibliche Sexualität, Empfängnis, Schwangerschaft, Gebärakt -, selbst das Lächeln einer Frau wusste die buddhistische Lehre zu dämonisieren. Buddha selbst werden abgründig frauenverachtende Sentenzen zugeschrieben: einer Gruppe junger Frauen soll er entgegengeschleudert haben, ihr Körper - vermutlich wieder einmal die Vagina - sei ein "Sumpf aus Unrat, ein krankmachender Haufen von Fäkaldreck. Wie soll man sich an solchen wandelnden Latrinen erfreuen?"

Dennoch sei, wie Milarepa und seine Nachfolger betonen, eine sexuelle Beziehung zu einer Frau für den männlichen Adepten - und nur um den geht es - absolut unverzichtbar. Zugleich mit der radikalen Abwertung des Weiblichen wird dieses in idealisierter und überhöhter Form vorgestellt, so dass es für die religiöse Praxis der Männer nutzbar gemacht werden kann. Der tibetische Mönchsnachwuchs entwickelt notwendigerweise ein heillos verzerrtes Frauenbild. Ohne je mit einer realen Frau Kontakt zu haben, erfahren die Jungmönche in den auswendig zu lernenden Lehrtexten und in den Unterweisungen ihrer Lamas diese zugleich als größtes und abstoßendstes Hindernis wie auch als unabdingbare Notwendigkeit auf dem Wege zur Erleuchtung.

Nur über rituellen Sexualkontakt zu Frauen lasse sich die zur Erlangung der Buddhaschaft erforderliche „weibliche Energie“ – gewähnt in Menstruationsblut und vaginalen Lubrikationssekreten – aneignen. In der Gelbmützensekte des Dalai Lama wird die Frage unterschiedlich beantwortet, ob dieser Sexualkontakt nun nur „visualisiert“, also in meditativer Versenkung bildlich vorgestellt werden müsse, oder ob dazu, wie in den anderen Sekten des tibetischen Buddhismus, tatsächlich eigens rekrutierte „Sexgefährtinnen“ heranzuziehen seien. Der Dalai Lama lässt es offen, welcher Gruppe er selbst zugehört. Entscheidend, wie er sagt, sei es, sich vor dem Fehler des Samenergusses zu hüten. Dann ist das Ganze „in Wahrheit kein Sex, auch wenn es so aussieht". Das Zölibatsgelübde der Gelbmützen jedenfalls bleibe gewahrt.

Teufel, Monster, Dämonen, Totengeister und Höllen

Wesentlichen Anteil an der bis heute auffälligen mentalen Retardierung des tibetischen „Gottkönigs“ – er ist nicht nur überzeugt von Karma und Wiedergeburt, auch glaubt er unbeirrbar an Astrologie, Hellseherei, Psychokinese und jedweden sonstigen Esoterikunsinn, einschließlich der Fähigkeit tibetischer Mönche, frei durch die Luft zu fliegen - hatte die hirnvernebelnde Indoktrination mit all den Okkultismen und Wahnvorstellungen, den blutrünstigen Teufeln, Monstern und Dämonen, von denen der tibetische Buddhismus wie kein anderes Religionssystem durchzogen ist. Allein sechzehn Höllen warteten auf den, der die Gebote der Lamas missachtet. In einer davon werde man „mit einem brennenden, spitzen Pfahl vom Anus her durchstoßen, bis dieser wieder am Scheitel austritt". In einer anderen falle man in einen "wie ein Leichnam stinkenden Sumpf" aus Exkrementen, um bis zum Hals darin zu versinken; zugleich werde man "von den scharfen Schnäbeln der in diesem Sumpf lebenden Insekten bis aufs Mark zerfressen und zerpickt". Die Qualen seien indes keineswegs beendet, wenn Haut und Fleisch verbrannt, zerschlagen, zerschnitten oder von Insekten aufgefressen seien, vielmehr wachse alles wieder nach, und die Tortur vollziehe sich aufs neue. Ein Leben in einer der Höllen währe das „Zwanzigfache der Zeit, die man benötigt, um einen großen Speicher voll mit achtzig Viertelzentnern Sesam zu leeren, indem man alle hundert Jahre ein Sesamkorn daraus entnimmt". Bis heute erklärt der Dalai Lama unmissverständlich - und wie immer mit infantil-kicherndem Unterton -, dass die in den buddhistischen Texten mit sadistischem Detailreichtum beschriebenen Orte der Qual keineswegs metaphorisch zu verstehen seien, sondern dass „die verschiedenen Höllen wirklich existieren“. Er selbst wurde umfänglich in der Beschwörung von Teufeln, Dämonen und Totengeistern unterwiesen.

Tod im Jahre 2048 - Wiedergeburt bereits beschlossene Sache

Selbstredend kann der große Meister aller Geheimwissenschaft auch in die Zukunft blicken. Seinen Traumgesichten zufolge werde er im Alter von einhundertdreizehn Jahren, also im Jahre 2048, von der weltlichen Bühne abtreten. Indes sei auch seine Wiedergeburt bereits beschlossene Sache. Er werde definitiv als 15. Dalai Lama wiederkehren, ob nun in traditioneller Manier, sprich: reinkarniert als Kind einer tibetischen Familie, oder in modernisierter Form, das heißt: unmittelbar nach seinem Tode remanifestiert in einem hochrangigen Mönch seines engsten Umfeldes, der nach „vatikanischem Modell“ aus diesem Umfeld heraus „gewählt“ bzw. „erkannt“ werden könnte, stehe allerdings noch nicht fest. In letzterer Option, so die Überlegung, ließe sich das zwanzigjährige Interregnum bis zur Machtübernahme einer als Kleinkind entdeckten Wiedergeburt umgehen, was die Hoffnung der Chinesen durchkreuze, mit seinem Tod gebe es über längere Zeit hinweg keinen amtierenden Dalai Lama mehr.

Egal indes, ob er nun sofort wiederkehrt oder erst später: in jedem Falle werde er in vierhundert Jahren bereitstehen: dann nämlich sei die "große Schlacht von Shambhala" angesagt, der totale Krieg um die buddhokratische Weltherrschaft - vielleicht sogar auf anderen Planeten und unter Beteiligung außerirdischer Mächte -, und er, er werde als oberster Feldherr dabeisein.

Irgendwie kann er einem auch Leid tun, der ältere Herr in seiner roten Kutte: ein Leben nach dem anderen gefangen in der paranoid-surrealen Wahnwelt eines tibetischen Gottkönigs.

Erstveröffentlichung in: DIE GAZETTE Nr 26 / Sommer 2010

http://hpd.de/node/9850

Das macht eine Theokratie (ob im Iran oder im ehemaligen Tibet) aus: dort regieren Menschen, die in anderen Ländern in einer geschlossenen Anstalt säßen.

''Der Dalai Lama ist eine Witzfigur''

Autor: martin | Datum:
Zitat: 04.02.2011
Colin Goldner, Wissenschaftsautor

"Der Dalai Lama ist eine Witzfigur"

Der Schwärmerei über den tibetischen Buddhismus kann der Psychologe Colin Goldner nichts abgewinnen. Was ihm im Vorfeld einer Lesung in Bremerhaven nun Boykottaufrufe eingebracht hat

taz: Herr Goldner, warum schreiben Sie so aggressiv gegen den Dalai Lama?

Colin Goldner: Angesichts der Flut an Publikationen zum Dalai Lama, von ihm und über ihn, stehen die Kritiker der tibetischen "Heiligkeit" auf ziemlich einsamem Posten. Daher ist pointierte Formulierung unverzichtbar, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Mein gelegentlich polemischer Unterton ist wohl Erbe meiner 68er-Sozialisierung: Mir geht die vorauseilende Ehrerbietung irgendwelcher Kutten- und Soutanenträger gehörig auf den Geist. Im Übrigen bin ich völlig unaggressiv.

Aber der Oberste Gerichtshof Wien hat Ihr Buch schon so gelesen: Nach seinem Urteil rechtfertigt Ihre "herabsetzende provokante Schreibweise" so ziemlich jede Kritik an Ihrem Werk.

Der Wiener OGH hat mein Buch ersichtlich nicht gelesen, sondern sich auf die Stellungnahme der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft gestützt, gegen deren seinerzeitigen Vorsitzenden ich geklagt hatte. Dieser hatte mich in seinem Verbandsorgan auf unterstem Niveau persönlich angegriffen, was ihm letztlich - geschützt durch das Recht auf freie Meinungsäußerung - durchging.

Dabei hieß es, Sie hätten geschrieben, Tibeter wären "geistes- und seelenverkrüppelte Menschen".

Das habe ich selbstredend nirgendwo geschrieben.

Sondern?

Es ging um die Indoktrination mit all den Okkultismen und Wahnvorstellungen, den blutrünstigen Teufeln, Monstern und Dämonen, von denen der tibetische Buddhismus durchzogen ist. Die ist Teil der menschenverachtenden Dressur, der der Mönchsnachwuchs im "alten Tibet" ausgesetzt war: Kinder wurden schon ab drei oder vier Jahren für die Klöster rekrutiert. In der extrem repressiven, von alten bis uralten Männern dominierten Mönchskultur der tibetischen Klöster wurden systematisch geistes- und seelenverkrüppelte Menschen herangezüchtet.

Lange her.

Meine Kritik richtet sich gegen den tibetischen Klerus, der im indischen Exil seine Praktiken weitgehend unverändert fortführt. In Tibet selbst ist die Rekrutierung von Kleinkindern seit den 1960ern verboten, was der Dalai Lama als gezielte Vernichtung der Mönchskultur durch die chinesischen Kommunisten geißelt. Er selbst kam mit drei Jahren ins Kloster.

Und das können Sie nicht weniger ätzend vortragen?

Noch einmal: Das hohe Ansehen, das der Dalai Lama quer durch sämtliche politischen und weltanschaulichen Lager genießt, ist trotz aller Kritik, die seit geraumer Zeit gegen ihn vorgebracht wird, weitgehend ungebrochen. Nach wie vor gilt er als Symbolfigur für Friedfertigkeit, Güte und in unendlichem Weistum ruhende Gelassenheit. Derlei verklärende Sicht ist reine Projektion. Dass der Dalai Lama nichts anderes ist als eine Randfigur im Propaganda-Schach der Großmächte, will man ebenso wenig wahrhaben wie die Tatsache, dass er als oberster Repräsentant des "alten Tibet" einem der blutsaugerischsten Herrschaftssysteme vorstand, die es je auf diesem Planeten gab - einer theokratischen Mönchsdiktatur, in der die große Mehrheit der Bevölkerung in unvorstellbarer Armut und bitterstem Elend lebte, unterdrückt und ausgebeutet von einer winzigen Schicht aus Adel und hohem Klerus. Hier Klartext zu sprechen ist unverzichtbar, auch wenn manche das als ätzend empfinden mögen.

Aber was bringt es, die eine Projektion des Westens durch eine andere zu ersetzen - indem Sie ihn zur lächerlichen Figur stilisieren, die "salbadert", "rhabarbert", "schwafelt" und "unglaubliches Plattitüdengeschwätz mit dem Wortschatz und der Grammatik eines Fünfjährigen" von sich gibt?

Mir geht es um die bestmögliche Auflösung von Projektionen: Bei Lichte besehen ist der Dalai Lama - wie alle "Heiligkeiten", egal welcher Glaubensrichtung - in der Tat eine Witzfigur, die an Karma und Wiedergeburt glaubt, an Astrologie, Hellseherei, Psychokinese und jedweden sonstigen Esoterik-Unsinn - einschließlich der Fähigkeit tibetischer Mönche, frei durch die Luft zu fliegen. Zugleich aber dürfen seine extrem rechtslastigen Positionen, auch seine eklatante Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit, nicht unwidersprochen bleiben, zumal er trotz - oder vielleicht gerade wegen- des Unfugs, den er erzählt, über enormen gesellschaftlichen Einfluss verfügt.

Oft nennen Sie ihn in christologischer Terminologie den "Leibhaftigen" und unterstellen ihm Gelüste, als "oberster Feldherr" in einem "totalen Krieg um die buddhokratische Weltherrschaft" aufzutreten. Wie passt das zum Bild der fünfjährigen Chatterbox?

Der Begriff "leibhaftig" bezieht sich darauf, dass er sich als Inkarnation, sprich: "Leibwerdung" einer buddhistischen Mythenfigur mit elf Gesichtern und tausend Armen vorkommt. Als solche wird er laut einer buddhistischen Prophezeiung, auf die auch er selbst immer wieder abstellt, in künftiger Inkarnation die "große Schlacht von Shambhala" anführen. Dieser Endzeitkrieg werde im Jahre 2424 stattfinden. Auch wenn derlei Sandkastenhirngespinste kein reales Bedrohungsszenario darstellen: Aus Sicht des Dalai Lama geht es um nichts weniger als die buddhokratische Weltherrschaft, die vor allem die Ausrottung des Islam bedeuten werde.

Dass auch Buddhismus über Gewaltpotenzial verfügt, untersucht Religionswissenschaft intensiver ja tatsächlich erst seit dem Giftgasanschlag des Sektenführers Asahara auf die Tokioter U-Bahn. Aber eben: Das war eine Sekte. Und den Dalai Lama als Propagandisten dieser Spielart des Buddhismus darzustellen - das fällt schon schwer.

Der Dalai Lama hatte wesentlichen Anteil am Aufstieg des buddho-faschistischen Sektengurus Shoko Asahara. Der plante unter anderem, die komplette Einwohnerschaft Tokios, also 20 Millionen Menschen, mit dem Nervengift Sarin und Milzbranderregern auszulöschen, um damit seinen Anspruch als buddhokratischer Weltendiktator zu unterstreichen. Der Anschlag auf die Tokioter U-Bahn im März 1995 - es hatte zwölf Tote und über 5.000 Verletzte gegeben - war nur ein Vorspiel …

… und hat den Dalai Lama ebenso entsetzt wie den Rest der Welt.

Entgegen aller Behauptung seiner Anhänger hat der Dalai Lama sich bis heute nicht von seinem "spirituellen Freund" Asahara distanziert. Auch ansonsten pflegte und pflegt er rege Kontakte in die rechte Szene.

Die alte Harrer-Geschichte?

Nein, damit ist nicht in erster Linie die langjährige Freundschaft mit Heinrich Harrer gemeint, der als SA-Mann und SS-Oberscharführer überzeugter Nazi war. Gemeint sind seine Kontakte zu einem gewissen Bruno Beger, der Teil der Nazi-Expedition von 1938/39 nach Tibet gewesen war. Beger, auch er hochrangiger SS-Mann, ist als NS-Kriegsverbrecher verurteilt worden. Der Dalai Lama aber hielt ihm bis zu seinem Tod - Beger starb 2004 - unverbrüchlich die Treue. Gemeint sind auch seine Kontakte zu Miguel Serrano, Führer der "Nationalsozialistischen Partei Chiles" und Vordenker des sogenannten "Esoterischen Hitlerismus". Ein besonders enger Freund war der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Selbstredend hat auch die NPD Gemeinsamkeiten entdeckt: Die "klar nationalistischen Positionen" des Führers vom Dach der Welt seien beispielgebend - "Tibet den Tibetern". Die NPD als "befreiungsnationalistische Kraft" stehe insofern an der Seite des tibetischen Volkes.

INTERVIEW:
BENNO SCHIRRMEISTER

http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/der-dalai-lama-ist-eine-witzfigur/

Colin Goldners Vortrag auf Youtube

Autor: auelb | Datum:
Auf Youtube ist Colin Goldners Vortrag "Hinter dem Lächeln des Dalai Lama" (Univ. Wien 18.05.2012) in voller Länge zu sehen.