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Verwandte und andere Mörder

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Verwandte und andere Mörder

Autor: Achim Stößer | Datum:
Ich habe bisher (wissentlich) zwei Mörder (im speziesistichen Sinn) kennengelernt. Einer davon war Mörder im juristischen Sinn (eine Karlsuher Lokalgröße, der seine Freundin umgebracht und in den acht Jahren im gefängnis Schriftsteller geworden war, soweit ich mich erinnere). Nun ja, "kennen" ist vielleicht übertrieben, ich kann mich nicht erinnern, je mit ihm ein Wort gewehselt zu haben.

Der andere war mein Onkel. Ich werde so etwa dreizehn gewesensein und war gezwungen, an einer dieser grotesken Familienfeiern teilzunehmen in einer "Wirtschaft", in der der Geruch nach Bratfett und abgestandenem Zigarettenrauch den Gestank der Leichen zumindest bis sie auf dem Teller lagen übertönte. Wir saßen da in Erwartung der traditionellen Suppe mit "Klößchen" aus Knochenmark. Zufällig saß dieser Onkel an dem langestreckten Tisch genau mir gegenüber, so daß ich nicht umhin konnte, in dem Gebrabbel das, was er von sich gab, herauszuhören. Ich erinnere mich nicht mehr an seine genauen Worte, es ist immerhin über ein Vierteljahrhundert her. Aber er erzählte, wie er Menschen erschossen hatte. Nicht wortreich, nicht bedauernd, er ließ einfach ein Bemerkung fallen, als würde er über das Fußballspiel am vergangenen Sonntag sprechen. Die Inkarnation der "Seit 5:45 wird zurückgeschossen"-Phrase. Er hatte Menschen, wohl polnische Soldaten, erschossen, und rechtfertigte sich mit einem lapidaren: "Wir mußten uns ja schließlich verteidigen." Und in diesem Augenblick wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben bewußt, daß ich einem Mörder so nah gegenübersaß, daß ich ihm ohne mich von der Stelle zu rühren die vor mir liegende Gabel in den Hals hätte rammen können.

Ich gehe davon aus, daß dieses Schlüsselerlebnis mit dazu beigetragen hat, meinen ersten Schritt auf dem Weg zu einem ethisch denkenden und handelnden Menschen zu gehen, den Kriegsdienst zu verweigern (als einziger in meiner Klasse, als einer von zweien in meiner Jahrgangsstufe an der Schule - dmals war das eben noch etwas anders als heute, Details habe ich ja schon auf meiner privaten Website ausgeführt, wenn es jemanden interessiert).

Aber es soll hier ja um Verwandte allgemein gehen, nicht nur um einen "herausragenden" Onkel. Irgendwelche meiner Vorfahren müssen wohl Hausierer oder Landstreicher gewesen sein - das ist jedenfalls die Bedeutung des Worts "Stößer" im Mittelhochdeutschen. Also nichts Spektakuläres. Mehr weiß ich darüber nicht, bis zu meinen Urgroßeltern. Von jemandem, der wohl mein Urgroßvater gewesen sein muß, existiert in meiner verblassenden Erinnerung ein vergilbtes Foto, das im Keller hing, das Porträt eines Soldaten mit Pickelhaube, dem die stundenlange Belichtungszeit anzusehen war. Das, abgesehen von ein paar Genen, ist alles, was von diesen Generationen m.W. noch existiert.

Mein Großvater mütterlicherseits war im Dritten Reich Ortsgruppenamtsleiter meines Geburtsorts. Er hieß Adolf, ein zum Zeitpunkt seiner Geburt noch gänzlich harmloser Name. Irgendwann habe ich auf dem Dachboden seinen Persilschein gefunden.

Der Name meines anderen Großvaters war Wilhelm. Ich weiß nicht, ob zufällig oder nach dem Kaiser benannt. Er arbeitete als Schlosser in der Rüstungsindustrie, war daher UK und nicht direkt an "Kampfhandlungen" beteiligt. Irgendwann schenkte er mir einen alten Briefbeschwerer, den er einmal aus Metallresten gemacht hatte, eine lange Schraube Verband eine Metallscheibe (den Sockel) mit anderen Metallstücken: eine Kugel, ein Würfel, und obenauf ein Hakenkreuz. Er war übrigens Nebenerwerbslandwirt. In dem Stall am Haus meiner Großeltern waren meist zwei Kühe eingesperrt. Manchmal kam eine von ihnen heraus, um den Heuwagen zu ziehen. Mein Großvater hatte eine lange Peitsche, und als Kind übte ich oft, sie so zu schwingen, daß das Ende der (wohl aus Haut bestehenden) Schnur den typischen Knall erzeugte. Die Kühe sah ich oft, weil die Toilette - muß wohl ein Plumpsklo gewesen sein - im Stall war und man, um da hinzukommen, an den Kühen (und eventuell dem Kalb, falls eines da war, was manchmal vorkam) vorbei mußte. Dort war auch ein Verschlag mit "Hasenkästen". Wenn die Kaninchen gerade Kinder hatten, wurde das eine oder ander für die Kinder zum Spielen in die "Stube" gebracht. Neben dem Stall war noch ein abgetrennter "Raum", in dem manchmal ein Schwein eingesperrt war; entlang der Diagonale des Raum konnte es sich ausstrecken. Habe ich aber, soweit ich mich erinnern kann, nur einmal gesehen, weil die Tür normalerweise zu war und es kein Fenster gabe. Teile der Leichen hingen dann, geräuchert als "Schinken", in der Vorratskammer. Außrdem war da ein "Hühnerstall" (mit Auslauf in dem Spalt zwischen dem Haus und dem Nachbarhaus, vielleicht einen halben Meter breit, und einem maschendrahtumzäunten Bereich von zwei, drei Quadtratmetern davor, der Boden natürlich, durch die Hühner, kahl; wenn man ihnen Gras von davor rupfte und durch den Zaun hinhielt, kamen sie an und pickten daran. Einmal wurde ein Küken mit drei Beinen geboren, eines davon hat mein Großvater mit einer Heckenschere o.ä. abgeschnitten. (Soviel übrigens zur beliebten These, Tierrechtler seien ahnungslose Städter, die "Nutztiere" nur aus "Bambi", "Babe", "Lassie" und "Flipper" kennen.)

Ein anderer meiner Onkel desertierte aus der Wehrmacht und versteckte sich bis Kriegsende auf dem Heuboden meines Geburtshauses (das übrigens an der Adolf-Hitler-Straße stand, die jedoch später umbenannt wurde). Ich vermute aber, daß er dies weniger aus pazifistischen Gründen tat. In der (seit Jahrzehnten allerdings zugeschütteten) Klärgrube dort müßten eigentlich noch diverse Waffen (nicht nur seine) liegen.

Mein Vater war gegen Kriegsende in der HJ, allerdings zwei, drei Jahre zu jung, um noch beispielsweise selbst "an der Flak" englische Piloten zu töten.

Eine entsprechende Schilderung bezüglich weiblicher Verwandter spare ich mir, zumal Frauen ja in einer sexistischen Gesellschaft wie dieser in der Regel nicht zum "Waffendienst" müssen.

Jedenfalls habe ich sie seit langem (teils Jahrzehnten, was sich in einigen Fällen zwangsläufig ergibt, da sie bereits verwesen und Zombies in dieser Gegend eher selten sind) nicht mehr gesehen.

Ich sehe auch keinen wirklichen Sinn darin, mich ausgerechnet mit diesen Leuten intensiver zu beschäftigen respektive gar eine tiefere emotionale Beziehung zu ihnen zu haben, nur weil wir zufällig einige gemeinsame Gene haben - das mag evolutionär von Vorteil gewesen sein, da dem Schutz von Nachkommen und teils auch - wenigstens der fortpflanzungsfähigen - Vorfahren auch die (mit den eigenen übereinstimmenden) Gene günstiger zu verbreiten sind. (Nebenbei bemerkt sind meine Gene in vielen Bereichen nicht die besten, vielmehr weisen sie mehrere, wenn auch nicht allzu gravierende, Defekte auf, so etwa - leichte - "Farbenblindheit" und androgene Alopezie, außerdem bin ich HLA-B27 positiv - HLA steht für Humane Leukozyten-Antigene -, was z.B. mit Morbus Bechterew/ankylosierender Spondylitis assoziiert ist, 87fach erhöhte Wahrscheinlichkeit.)

Aber wir leben nicht mehr in der Bronze- oder Steinzeit: im Siliziumzeitalter sind Meme einzig entscheidend, und zu deren Verbreitung ist biologische Verwandtschaft irrelevant.

Achim

PS: Und da ich ja weiß, daß viele jede Gelegenheit nutzen (dieser Thread ist wohl mittlerweile bei den Antiveganern verlinkt), uns ans Bein zu pinkeln, lasse ich offen, welche Teile der obigen Schilderung tatsächlich autobiographisch und welche fiktiv sind ;-) .

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Re: Verwandte und andere Mörder

Autor: Arno | Datum:
Hallo Achim,

im Durchschnitt haben alle unsere Vorfahren in allen Ländern der
Erde in Zeitabständen von ca. 20 Jahren Kriege miterleben
müssen. Unsere Generation ist also das Endergebnis einer Auslese
von höchster Aggresionsbereitschaft. In jeder Familie rund um
den ganzen Erdball gibt es deshalb menschliches Fehlverhalten.

Viele Grüße
Arno