[Diesen Text hatte ich mal jemandem in einem anderen Forum auf die Frage, wie ich denn zur Tierrechtlerin geworden sei, geschrieben.]
Es wird Tierrechtlern ja immer vorgeworfen, sie hätten keine Ahnung von Tieren und Landwirtschaft, drum fange ich in meiner Kindheit an. Ich bin sehr ländlich großgeworden (und lebe noch immer in einem Kaff); mein Großvater hat Rinder, Schweine und Hühner geschlachtet und mein Großonkel war Jäger, ich liebte es, mit ihm durch den Wald zu laufen und mir vieles erklären zu lassn. Jeden Tag ging ich mit einer Milchkanne auf einen Bauernhof um Milch zu holen, ich riß mich quasi darum denn ich liebte es, im Kuhstall zu sein, die Wärme der Kühe, das Spielen mit den Kälbchen... Ich war schon immer gern mit Tieren zusammen, aber es war so normal, daß andere Tiere für uns Menschen eingesperrt und getötet werden. Daß die Kälber getrennt von ihren Müttern in kleinen Boxen standen und ihre Mütter an der Kette, daß sie in den ersten Tagen nach der Geburt jämmerlich nacheinander riefen, sie früher oder später umgebracht wurden, all das wußte ich, stellte es aber nicht in Frage. Ich lernte Reiten, bei einer Freundin sauste ich auf dem Rücken von Ponys durch den Spessart... - alles wurde zur Idylle, wenn nur ein Tier im Spiel war.
Damals wohnten wir zur Miete, unser Vermieter "hielt" zwei Kaninchen in einem kleinen Stall, ich wurde nicht müde, ihnen täglich frisches Gras zu bringen, mit ihnen zu schmusen und zu spielen. Ich war so 7 oder 8, als der Vermieter eines Tages an der Tür klingelte, er stank nach Alkohol (ich verabscheue Alkohol noch heute), mit einer Hand hielt er ein blutiges gehäutetes totes Kaninchen an den Hinterbeinen und lallte: "Frag mal deine Eltern, ob sie den haben wollen". Da war die Idylle vorbei, ich aß nie wieder "Hasenbraten" (allerdings weiterhin die Füllung eines solchen, die bestand ja aus "Hackfleisch"). Weiteres stellt man in solch einem Alter meist wohl noch kaum in Frage.
Als ich 12 war, las ich in der Schule am Schwarzen Brett die Geschichte eines Hundes, der in einem Versuchslabor der amerikanischen Rüstungsindustrie gequält wurde. Ich bekomme von so etwas keine Albträume, es läßt mich aber tagsüber nicht los. Ich quengelte so lange, bis meine Eltern mich Mitglied im örtlichen Tierschutzverein werden ließen, ich wollte etwas gegen diese schlimmen Dinge tun. Dazu kam es aber nicht, in dem Tierschutzverein hatte man kein Interesse daran, etwas zu ändern sondern nur, ein paar einzelnen Opfern ("Streicheltieren") zu helfen und ich ließ mich natürlich bald davon überzeugen, daß "man eh nichts ändern kann". Ich war stolz darauf, zu reiten und gleichzeitig auch "Pferdesalami" zu fressen, irgendwie bildete ich mir ein, sowas sei "naturverbunden".
Und weil ich mich ernsthaft dafür interessierte, machte ich mit 14 ein Praktikum bei einem Tierarzt, der nicht nur Kleintiere behandelte. Ich assistierte bei künstlichen Besamungen, hielt die Hoden eines 3 Wochen alten Ferkels in der Hand, während diese abgetrennt wurden und das Ferkel ohne Betäubung mit offenem Bauchraum schrie (ich habe weder vorher noch nachher jemals wieder jemanden so schreien gehört) und ich suchte bei der "Fleischbeschau" die Lymphknoten der toten Körper.
Was sich so viele denken, um besser verdrängen zu können, dachte ich auch: "Es ist halt nicht alles schön, aber wenn man Fleisch essen will, muß das halt sein."
Ein paar Monate später wurde ich Vegetarierin, nicht aus Tierschutzgründen, sondern weil es damals einfach "in" war. Natürlich machte ich darum auch immer wieder "Ausnahmen", bei meinen Irlandaufenthalten z.B. ernährte ich mich schon morgens von Bratwürstchen. Als ich 16 war, wurde eine meiner Klassenkameradinnen vegan. Ich hielt sie für total bekloppt. Sie ernährte sich hauptsächlich von Nudeln mit Ketchup, Pommes, Chips und erzählte was von dem "zu langen Darm des Menschen um Fleisch verdauen zu können". Innerhalb eines Jahres ging es ihr wegen ihrer Fehlernährung so dreckig, daß ich mich nur bestätigt sah. Außerdem hatte ich natürlich auch hundert andere Sachen zu tun und gar keine Lust, mich näher damit auseinanderzusetzen.
Erst mit 18 geschah das dann, als ich anfing, mich mit verhaltensauffälligen Hunden zu beschäftigen (um ihre Vermittlungschancen im Tierasyl zu erhöhen) und mich fragte, warum man einen Unterschied zwischen diesen Hunden und anderen Tieren machen sollte. Ich begann dann auch, mit anderen Menschen über Tierschutz zu sprechen, machte Diskussionsstunden mit Schülern, tauschte mich mit anderen Tierschützern aus. Ich holte Hunde von der Kette und Kaninchen aus dunklen Ställen. Aber es dauerte noch gute 2 Jahre, bis ich anfing, mich mit meiner eigenen Doppelmoral auseinanderzusetzen. Zwischenzeitlich hatte ich immer wieder über die schreienden Ferkel, Kälber u.a. „Nutztiere“ nachgedacht, ich beschloß, keinen Käse mit Kälberlab mehr zu kaufen und nur noch Eier aus Freilandhaltung. Aber was war mit den Produkten, die bereits Eier enthielten? Das waren selbstverständlich Legebatterie-Eier, und für den Käse mussten so oder so Kälber sterben - ich war also schon wieder an einem Punkt angelangt, wo ich mir nur Doppelmoral vorwerfen konnte (wohlgemerkt: ich setzte mich tatsächlich alleine damit auseinander, kannte zu dem Zeitpunkt absolut keine Veganer/Tierrechtler und wollte es einfach nur richtig machen). Doch natürlich habe ich es mit anderen Veganern zu verdanken, daß ich selbst vegan wurde - über das Internet stieß ich schnell auf so einige (u.a. auch auf Achim ;-)), die mir klarmachten, daß Veganismus weder Askese noch Mangelernährung bedeutet und es, wenn man andere Tiere tatsächlich achtet, gar keinen Weg daran vorbei gibt.
Im Sommer vor vier Jahren aß ich das letzte Mal Eiscreme aus Kuh-Milch, seitdem lebe ich vegan. Meine Freunde glaubten zuerst, das sei nur eine Phase, schüttelten den Kopf und warteten darauf, dass ich bald umfalle. Aber ich machte mich auf die Suche nach Leuten, mit denen ich was erreichen konnte. Was ich gelernt habe in den ganzen vorhergehenden Jahren der Tierschutzarbeit: Es ist sinnlos, Symptome zu bekämpfen, ausgesetzte Hunde einzusammeln und Landwirte wegen „nicht artgerechter Haltung“ anzuzeigen (habe ich unzählige Male gemacht), wenn man nichts an den Ursachen ändert: Das Bewusstsein der Menschen, dass andere Tiere „für uns da sind“. „Quälerei“ definiert jeder anders, für die meisten Leute ist es keine Quälerei, Meerschweinchen hier in Deutschland zu „halten“ - dabei sind die klimatischen Bedingungen hier absolut ungeeignet für sie. Menschen sperren andere Tiere ein, sei es zur Belustigung, zum Zeitvertreib, um sie anschließend umzubringen und aufzufressen..., warum auch immer. Doch wer gibt uns das Recht? Weil wir es „können“? Ich könnte auch einen anderen Menschen einsperren, ihn ausrauben, aber ich tue es nicht, denn ich will keinem anderen Menschen so etwas zufügen. Und warum sollte allein die Artzugehörigkeit maßgeblich sein für unser Verhalten anderen gegenüber? Sollte man nicht eher auf das achten, was mein Gegenüber mitbringt? Schweine brauchen kein Wahlrecht, denn sie haben kein Interesse an Wahlen, können mit einer Demokratie nichts anfangen. Aber sie können Schmerzen empfinden und haben ein berechtigtes Interesse daran, keine zu erleiden; sie haben Interesse an Freiheit, am Leben in einem Familienverband. All das wird ihnen von Menschen aber genommen, einfach so, „Es sind ja nur Schweine.“ Und in dem Moment muß ich daran denken, dass man auch mal sagte „Es sind ja nur Juden“ oder „Es sind ja nur Frauen“. Doch nur weil andere dieser Meinung waren, hat das diese Menschen tatsächlich zu „minderwertigen Lebewesen“ gemacht? Warum sollte man andere Tiere töten dürfen, wo es doch absolut unnötig ist? Kein Mensch muß tierliche Produkte essen, um zu überleben, wir sind das einzige Tier, welches allein aus Freude und “Genuß“ tötet (einige Psychologen und Soziologen meinen auch, dass dies aus einem Machtbedürfnis heraus geschieht). Und dieses Recht haben wir nicht, das Recht anderer auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit geht absolut vor.
Ich arbeite deswegen daran, anderen Menschen zu zeigen, was eigentlich passiert, einen Ausschnitt davon ist im Bildarchiv von http://maqi.de unter „Aktionen“ und „Befreiungen“ zu finden. Und ich zeige Alternativen auf, niemand muß hungern oder in sonst irgendeiner Weise asketisch leben, wenn er vegan wird. Jedes Tier hat eine Persönlichkeit, wenn man das erst mal begriffen hat, ändert man sein Verhalten. Denn Persönlichkeiten behandelt man nicht wie eine Sache - man zollt ihnen Respekt.
Tanja