Der Suggerierung von Wissenschaftlichkeit funktioniert dann besonders gut, wenn die Behauptungen hingenommen werden, weil zum einen die Quelle halbwegs vernünftig aussieht (z.B. in einer wissenschaftlichen Zeitschrift erschien), und zum anderen der Titel irgendwie mit dem Thema zu tun haben scheint.
Das hat sich auch Pollmer zunutze gemacht. Er behauptet, dass Veganismus generell (eine Einschränkung macht er nicht), nicht etwa Fehlernährung zu einem B12-Mangel bei Kindern führen kann, indem er Veganismus mit Fehlernährung gleichsetzt ("vegane Kost [verursacht] schwere Entwicklungsstörungen und geistige Behinderung."). Diese Behauptung sollen diese zwei Quellen beweisen:
1. Louwman MWJ et al: Signs of impaired cognitive function in adolescents with marginal cobalamin status. American Journal for Clinical Nutrition 2000; 72: 762-769
2. Lücke T et al: Mütterlicher Vitamin-b12-Mangel[!sic]: Ursache neurologischer Symptomatik im Säuglingsalter. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2007; 211: 157-161
Sieht man sich die Quellen an, kommt wenig überraschend etwas anderes heraus.
In der ersten geht es nicht um Veganer, sondern um Makrobiotiker, die "gelegentlich" (occasionally) tote Fische essen. Hier sieht man zwei beliebte Tricks der Veganismusdiskreditierung: Veganismus, obwohl er keine Ernährungsform (und erst recht keine Diät (oft eine Fehlübersetzung aus engl.
diet)) ist, wird mit sog. "Außenseiterdiäten" gleichgesetzt und deutliche Belege für Unveganismus (ja, Fische zu konsumieren ist unvegan) werden unter den Tisch fallen gelassen. Während das zweite für die Bewertung des Ernährungsstatus noch eine untergeordnete Rolle spielt, ist das erste schwerwiegend. Makrobiotik oder andere Ernährungslehren modifizieren ihre Ernährung nach alimentären Kriterien, Veganismus nach ethischen. Während Makrobiotiker durch den hohen Getreideanteil eine geringe Energiedichte aufweist und er durch die Vermeidung von Gemüse und Hülsenfrüchten sehr eingeschränkt ist, ist das bei Veganismus nicht der Fall. Auch ein Veganer kann sich mangelhaft ernähren, nur kann ('darf') er dann seine Ernährung umstellen und z.B. bei einer geringen Kalziumaufnahme eben mehr kalziumhaltiges Gemüse essen, wohingegen ein Makrobiotiker das nicht kann/darf (jedenfalls wenn er konsequent ist). Die Fehlernährung eines Veganers liegt also in der Fehlernährung, nicht im Veganismus; bei den Ernährungslehren ist es umgekehrt, hier kann die Fehlernährung mit der individuellen Ernährung zusammenfallen. Nicht unwichtig ist auch, dass Makrobiotiker wie Anhänger anderer esoterischer Ernährungslehren, die aus Diskreditierungsgründen mit Veganismus in Verbindung gebracht werden, die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ablehnt, sodass in Bezug auf B12 makrobiotische Ernährung unzureichend sein
muss. Vernünftige Veganer dagegen supplementieren B12. Wenn Veganern einen geringen B12-Status haben, liegt die Ursache dafür darin, dass sie nicht supplementieren, nicht darin, dass sie sich vegan ernähren.
In der zweiten Quelle werden vier Einzelfälle von B12-Mangel bei gestillten Kindern vorgestellt, davon zwei bei sich omnivor ernährenden Müttern und zwei bei sich angeblich vegan ernährenden (aufgrund der hohen Fehlerrate, was alles unter Veganismus verstanden wird, kann das angezweifelt werden, auch weil die Autoren "veganisch" schreiben). Beim ersten omnivoren Fall wird die Ursache nicht genannt, beim zweiten ist die Ursache eine Resorptionsstörung durch Parietalzellen-Antikörper. Bei den veganen Müttern ist die Ursache, dass sie nicht supplementieren. Die Autoren raten aber nicht vom Veganismus ab (auch wenn sie ihn nicht gerade empfehlen), sondern verweisen darauf, dass B12 supplementiert werden soll, weil es in Pflanzen nicht in ausreichenden Mengen vorkommt. Sie beschweren sich dennoch, dass nur die amerikanische Vegan Society auf die Notwendigkeit der Supplementation v.a. bei Kindern hinweist, jedoch keine deutsche Veganismus-Seite (Stand 2007). Das verwundert etwas, da man auf (naheliegenderweise) veganismus.de über das FAQ Ernährung (-> "Was ist mit Eiweiß, Kalzium, Eisen, Vitamin B12?") auf den (wenn auch inzwischen veralteten) Artikel
"Vegane Ernährung" verwiesen wird, wo steht: "Bei Säuglingen können allerdings irreversible Schäden entstehen, so daß darauf zu achten ist, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen." Von dieser mangelhaften Recherche abgesehen, bleibt das Fazit des Artikels wie gesagt, dass bei veganer Ernährung B12 supplementiert werden soll, nicht, dass vegane Ernährung abzulehnen sei.
Die allgemeinen Erkenntnisse der beiden Studien sind: wenn die Nahrung nicht genügend B12 enthält, kommt es zu einer Unterversorgung. Die kann sich auf gestillte Kinder übertragen, da diese von der Nährstoffversorgung der Mutter abhängig sind. Sowie: pflanzliche Nahrung an sich enthält nicht genügend B12.
Daher fragt man sich: Und weiter? Das ist längst bekannt und längst behoben. Auf keiner seriösen Webseite und in keinem seriösen Buch über Veganismus wird man etwas anderes lesen. Pollmer dagegen versucht zwei Einzelfälle von Fehlernährung, die zufällig gleichzeitig vegan ist, zur Normalität im Veganismus zu pauschalisieren. Zudem verschweigt er, dass Unveganer genauso einen B12-Mangel erleiden können, da der Resorptionsprozess an vielen Stellen geschädigt sein kann und unvegane Ernährung daher keine Garantie für eine ausreichende B12-Versorgung darstellt, sodass sie "schwere Entwicklungsstörungen und geistige Behinderung" verursachen kann.
Er verdreht im einen Fall Makrobiotiker zu Veganern (übrigens mit genau der gleichen Quellenangabe von Wikipedia; das zur Ergänzung, warum Wikipedia nichts taugt) und unterschlägt im anderen Fall zentrale Aussagen und die Tatsache, dass es sich um (nicht einmal ausschließlich vegane) Einzelfälle handelt. So einfach ist das: ein bisschen verdrehen und ein bisschen weglassen und fertig ist die Antiveganismuspropaganda.