> Das verstehe ich allerdings nicht. "Nachfahren von Tätern"
> klingt wie Kollektivschuld bzw. Sippenhaftung und ist daher
> eine fragwürdige Formulierung.
Findest Du? Übrigens muss ich sagen, dass "Sippenhaftung" in dem Kontext eine mehr als "fragwürdige Formulierung" ist, frag mal z.B. Kinder von Kommunisten der damaligen Zeit... Oh, geht nicht,- die kamen ja in Sippenhaft und sind umgebracht worden.
Ein Offizier der US Armee hat Mitte 1944 im militärisch eingeschlossenen Aachen die deutsche Bevölkerung interviewt, um für die US Regierung die "Einstellungen und Erwartungen der Deutschen" zu erkunden:
"Seit zwei Monaten sind wir hier zugange" heißt es im Bericht, "wir haben mit vielen Menschen gesprochen, wir haben jede Menge Fragen gestellt, und wir haben keinen einzigen Nazi gefunden. Jeder ist ein Nazigegner. Alle Leute sind gegen Hitler. Sie sind schon immer gegen Hitler gewesen. Was heißt das? Es heißt, daß Hitler die Sache ganz allein, ohne Hilfe und Unterstützung irgendeines Deutschen durchgezogen hat. Er hat den Krieg angefangen, er hat ganz Europa erobert, den größten Teil Russlands überrannt, fünf Millionen Juden ermordet, sechs bis acht Millionen Polen und Russen in den Hungertod getrieben, vierhundert Konzentrationslager errichtet, die größte Armee Europas aufgebaut und dafür gesorgt, daß die Züge pünktlich fahren. Wer das ganz alleine schaffen will, muß schon ziemlich gut sein. Ich kenne nur zwei Menschen in der ganzen Welt, die so etwas können. Der andere ist Superman." (Paul K. Padover, Lügendedektor. Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45, München 2001, S. 46)
Sein Fazit:
"Psychologisch gesehen wollen sich die Deutschen Strafe und moralischer Verantwortung entziehen, indem sie der Welt einen schuldigen präsentieren, den sie noch vor kurzer Zeit als Halbgott angehimmelt haben.(...) In dieser Neigung, sich vom auserwählten Führer abzuwenden(...), entdeckt man nicht den Schimmer eigenen Schuldbewusstseins, kein Bewusstsein, daß Krieg an sich verwerflich ist, daß die Deutschen einen falschen Weg eingeschlagen haben. (...) Hitler wird vorgeworfen, den Krieg verloren, und nicht, ihn begonnen zu haben." (Ebenda, S. 93 f.)
Die Mittäter schieben ihre Verantwortung ab. Machen sich letztendlich selbst zu Opfern.
Die Mittäterschaft der deutschen Bevölkerung wird nicht dadurch legitimiert, dass sie sich an damals geltendes Recht gehalten,- also juristisch legal gehandelt haben.
So ziemlich jeder deutsche Betrieb hat Zwangsarbeiter, sprich Sklaven aus den Konzentrationslagern "beschäftigt".
"Erst wurde die Parteispitze vorgeschoben, dann die SS, schließlich die Wehrmacht. Hier gab es schon Proteste, denn die Soldaten handelten "nach Befehl" und zudem im Ausnahmezustand eines Krieges. Das beruhigte. Banken und Konzerne wurden genannt, wenn auch erst in den späten Jahren der Bonner Republik.
Denn der Zweifel an der Legitimität bestimmter Profite rührt an den Grundbestand der bürgerlichen Gesellschaft. Über die Zwangsarbeiter bei Siemens oder Daimler und Ford wird berichtet. Aber was ist mit den vielen Zwangsarbeitern auf den Bauernhöfen oder in den kleineren Betrieben? Deutschland war übersät mit Außenlagern der KZs. Und was ist mit den deutschen Arbeitern, die in den selben Betrieben arbeiteten? Wie haben sie sich verhalten?" (Betrifft: "Aktion 3" Deutsche verwerten jüdische Nachbarn Dokumente zur Arisierung, Aufbau - Verlag 1998, S. 8 f.)
Mit der Massenvernichtung war so ziemlich jede Bürokratische Instanz beschäftigt. Die Häuser, Wohnungen und Besitztümer der verschleppten Jüdischen Familien wurden von der Deutschen Bevölkerung billig gekauft. (sie wurden natürlich nicht den plötzlich verschleppten Opfern abgekauft -die jüdischen Familien bekamen meist mitgeteilt, dass sie sich innerhalb einer Stunde zur Verschleppung bereitzustellen hätten- sondern bei der Deutschen Verwaltung erworben.)
"Die großen Arisierungsgewinnler wurden nach und nach, sehr zögerlich und noch immer nicht ausreichend bekannt.
Aber wie steht es um die nette Nachbarin von nebenan, die sich die Wäsche der Deportierten Juden legal ersteigerte? (...)
Die Nachbarn wussten daß die Wäsche aus dem Schrank der deportierten Familie stammte. Sie wußten auch daß diese Familie nicht zurückkehren würde um Rechenschaft zu verlangen.
Alles weitere kann vernachlässigt werden, wenn das zuständige Finanzamt seinen Gerichtsvollzieher zum Leiter der Versteigerung ernannt hat. Hierüber berichten die gesperrten Akten. Nahezu jede "ausgebombte" Familie saß an einem Tisch, der aus dem Besitz ehemaliger jüdischer Familien stammte oder aus Wohnungen der Juden im besetzten Europa herangeschafft worden war. Auch in diesen Fällen wurde offen dokumentiert, daß es sich um "das Vermögen des Juden - der Jüdin" handelte, wie es in den Rechnungsvordrucken hieß. (...) (In den Akten) beschweren sich zum Beispiel die Finanzbehörden darüber, daß ihr Geschäftsbetrieb wegen der vielen "Kaufliebhaber" gestört würde." (Ebenda, S. 9 - 11)
Diese "Transaktionen" wurden, wie es die "deutsche Gründlichkeit" voraussetzt, genauestens dokumentiert, die Akten nach der Kapitulation aber zum Teil schnell vernichtet oder bis heute in den Staatsarchiven unter Verschluss gehalten.
Ein solches Dokument liest sich dann so:
" 1 Gehrock mit Weste - Erwerber: Weber, Preis: 50 RM
6 Handtücher Abel, 1,50 RM
2 Stühle Reuter 4,50 RM"
Und so weiter, bis die gesamte Einrichtung der jüdischen Wohnung/des Hauses verschachert war, vom Haus an sich über den Wandschrank bis hin zur Unterhose. Alles haarklein Dokumentiert.
Alles in dem klaren Bewusstsein erworben, wem die Gegenstände gehör(t)en.
Und natürlich sind wir als Nachfahren der Täter nicht "schuld".
Aus dieser Tatsache ergibt sich aber eine Verantwortung, der wir uns zu stellen haben. Nur wenn wir uns ihr stellen, ist es möglich, zu verstehen, wie es zur Shoah kommen konnte, lässt sich verhindern, dass etwas derartiges wieder "passiert".
Ich hätte ein anderes Bewusstsein erwartet von jemandem, der hinter der Tatsache "Vegetarier sind Mörder" steht, der also erkannt hat, dass man nicht selbst aktiv morden muss, um Täter zu werden.
Steffen